Ein verregneter Novembertag... Ich mache mich hübsch, widme mich meinen Ritualen im Bad besonders eifrig und weiß, dass Du auf mich bereits im Hotel wartest. Du hast mir schon die Zimmernummer mitgeteilt. Und Deine kurzen brüchigen Sätze ohne Punkt und Komma (so untypisch für Dich!) haben mir verraten, wie aufgeregt und nervös Du bist.

Mir geht es ähnlich. Warum eigentlich?! In den letzten Monaten habe ich so viele Gesichter gesehen, Stimmen gehört, Küsse geschmeckt, Berührungen gespürt, dass es mir theoretisch nichts mehr ausmachen sollte. Und dennoch überwältigt mich bei jeder neuen Begegnung eine Art von Lampenfieber. Ich fühle mich im ersten Moment wie ein Schulmädchen, unsicher und tollpatschig. Allmählich gelingt es mir dann, den Mut zu fassen und auf mein Gegenüber aktiv mit all den weiblichen Reizen zuzugehen, die mich in den Augen eines Mannes begehrenswert machen.

Der einsame halbdunkle Hotelgang. Hinter jeder Tür verbirgt sich eine Lebensgeschichte, eine besondere Situation, womöglich ein geheimes Date. Die unzähligen Männer und Frauen, die ich nicht kenne, umarmen sich in diesem Moment, ziehen sich aus und erforschen gierig die Körper voneinander. Ich bin noch alleine und spüre diese Energie, die aus jeder Ecke auf mich zuströmt. Es ist eine dunkle Energie. Wenn ich sie wirklich schmecken könnte, hätte sie einen süßen Geschmack mit einem leicht bitteren Abgang und sie würde nach Vanille und Kastanienblüten riechen. Es ist eine ganz besondere Umgebung, eine Parallelwelt, die wenig mit dem realen Leben zu tun hat. Oder vielleicht doch viel mehr als man ahnen könnte…

Ich klopfe unsicher an der Tür in der Hoffnung, dass ich die Zimmernummer richtig im Kopf habe. Hinter der Türspalte erkenne ich Dein Lächeln und flüstere Dir zu: „Wünschen Sie einen Zimmerservice?“ Du hast ganz offensichtlich nichts gegen die Gesellschaft eines Zimmermädchens einzuwenden und lässt mich rein. Dein musternder Blick verrät mir, dass meine Dienste an diesem Abend weit über das Putzen, Abwischen und Saubermachen hinausgehen dürfen. „Hast Du gut hierher gefunden?“, lautet Deine erste Frage. Deine Augen sagen aber deutlich mehr und ziehen mich förmlich aus. Auf dem Tisch steht bereits eine Flasche Champagner, daneben liegt ein strahlend weißer Umschlag mit meinem Namen drauf. Du hast eine schöne gut lesbare Handschrift. Und es ist Dir sogar gelungen, einen Kübel gefüllt mit Eis aufzubringen. Der eiskalte Champagner wirkt auf mich etwas beruhigend und gleichzeitig spüre ich eine wohlwollende Wärme, die durch meine Körperglieder zieht und meine Wangen zum Glühen bringt.

Meine Knie zittern leicht und ich spüre, wie es unten im Slip plötzlich klebrig und warm wird. Meine Gefühle entgehen Dir nicht, Du registrierst den verräterischen Glanz in meinen Augen. Es ist uns beiden bewusst, dass der kleine lässige Smalltalk, den wir gerade pflegen, nur die erste Stufe darstellst, der viele andere folgen werden. Du beherrschst die Situation perfekt und spielst mit mir wie eine Katze mit Maus. Ohne ein Wort zu sagen, nimmst Du mir das Glas Champagner aus der Hand, machst Deine Hose auf und zwingst mich auf die Knie.

Alles, was danach folgt, lässt sich schwer in Worten beschreiben. Mir kommt es vor, als ob ich ein Gegenstand wäre, der speziell dafür gemacht ist, Deine Begierde zu befriedigen. Deine starken Hände beherrschen mich, und ich habe keine Chance, Dir zu entkommen und mich dagegen zu wehren. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich es machen würde, selbst wenn ich es könnte. Wir befinden uns in einer Flow und alles geschieht auf eine natürliche Art, ohne dass ich mir viele Gedanken darüber machen muss. Du erwiderst meine Gefühle vielfach. Und nach jedem Orgasmus, der meinen Körper zum Beben bringt, wirst Du immer fordernder, strenger und konsequenter.
Es fällt mir schwer, meine Gedanken zu sammeln, kurz nachdem Du Dich von mir gelöst hast. Wir umarmen uns und kuscheln miteinander. Deine Hände streicheln diejenigen Stellen meines Körpers, die Du noch ganz kurz davor t hast. Ich lebe völlig zeitlos, die Zeit läuft aber verräterisch ab. Nun müssen wir uns beide in unsere kleinen Welten zurückziehen, uns unseren alltäglichen Aufgaben widmen und uns von den Erinnerungen inspirieren lassen, die wir uns gegenseitig beschert haben.

Dein Blick verfolgt mich, während ich meine Strümpfe, die Du vorher von meinem Leib gerissen hast, anziehe. Du liegst nackt auf dem Bett und schaust zu, wie ich mich wieder in eine seriöse Geschäftsfrau verwandle, der niemand ansehen könnte, was sich hinter der anständigen Fassade verbirgt. Oder doch?...

Der letzte Kuss, die letzte Umarmung… Wir wissen beide, dass wir uns irgendwann wieder sehen und spüren werden. Und selbst wenn bis dahin eine sehr lange Zeit verstreichen wird, werden wir beide ein Gefühl haben, als ob wir uns erst gestern gesehen hätten. Wir tauschen noch einmal flüchtige Blicke aus und ich verschwinde diskret hinter der Zimmertür. Und nun befinde ich mich schon wieder im anonymen menschenleeren Hotelgang auf dem Rückweg ins normale Leben. Aus einem anderen Zimmer ist ein leises weibliches Stöhnen zu vernehmen. Gedanklich wünsche ich diesem Paar viel Vergnügen und vermisse schon jetzt die Abgründe der geheimen Welt, die ich eben verlasse.

Der Aufzug bringt mich samt ein paar anderer Hotelgäste nach unten. Ihre neugierigen Blicke lassen mich erahnen, dass sie die Hintergründe meines kurzen Hotelaufenthalts verstehen. Ihnen entkommt nicht, dass meine Bluse zerknittert, der Rock verdreht und die Wimperntusche verwischt ist. Ich weiß, dass jeder von den anwesenden männlichen Begleitern mich auf sein Zimmer allzu gern mitnehmen würde. Ihre gierigen Blicke verraten mir, dass meine etwas zerwühlte ihre ischen Instinkte weckt. Dennoch lasse ich mich darauf nicht ein, weil ich mich auf meine Geschäftstermine konzentrieren muss: „Work Hard, Play Hard…“

Die frische kalte Novemberluft umgibt mich, sobald ich wieder auf der Straße bin, und verleiht meinen Gedanken etwas mehr Klarheit. Ich mache meinen verrutschten Rock zurecht, wische die Spuren der überflüssigen Kosmetik ab, atme tief ein. Und nun klingt das Telefon und ich tauche wieder ins Alltagsleben ein…

Hello World!