"Das is ja voll schief!", quäkt es rechts neben mir. Meine zwei Nichten, fünf und sieben Jahre alt, sitzen neben mir in der vollbesetzten Kirche und sind sichtlich unbeeindruckt von der Darbietung des Kinder Blockflöten Ensembles das sich im Altarraum aufgebaut hat. Vielleicht war dieses Adventskonzert doch keine so gute Idee. "Jana, das quietscht. Die können das ja gar nicht", kommentiert Nichte Nr 2 lautstark. Eine ältere Dame neben mir lacht leise, einige Köpfe drehen sich uns zu. Wahrscheinlich die Eltern der Blockflötentalente. Eine erzürnte Mutter in der Reihe vor uns dreht sich um. "Also wirklich. Das ist ein sehr anspruchsvolles Stück. Das ist Mozart!" Ich würde das klägliche Gefiepe dort vorn zwar nicht als Mozart identifizieren, lächele aber entschuldigend. "Nein, Madame!", protestiert Nichte Nr 1. Instinktiv weiß ich, dass die Situation nun perdu ist. "Überlegen Sie doch, Madame", sagt sie zur Blockflöten-. "Mozart hat Klavier gespielt. Nicht Blockflöte." Die ältere Dame gluckst vor Lachen. Blockflöten- schnappt hörbar nach Luft und ich schnappe mir die beiden Störenfriede. Als ich sie in ihren rosa Winterjacken zum Ausgang bugsiere sehen sie hochzufrieden aus. Auf dem Display meines Handys erscheint eine KM Benachrichtigung. Neue Date-Anfrage. "Jana, was machst Du da?!?" Ich stecke das Handy weg. Die Anfrage wird warten müssen.
Diesen Advent spiele ich Ersatz für zwei aufgeweckte junge Damen und ihre Armada an Kuscheltieren. Seither haben wir diverse berufliche Komplikationen, steigende Unzuverlässigkeit und völlige Überforderung meinerseits aber auch die geglückte Rettung von Teddy Héctor vorm Ertrinken im Waschbecken zu verzeichnen. Statt heißer Dates gibt es nun öfter mal heiße Schokolade und statt Sexual Healing lauschen wir Rabe Socke. Meine Liste an "wollte ich eigentlich längst erledigt haben" ist endlos geworden und meine Wohnung sieht aus wie Dresden 1945.
Dabei liebe ich die beiden über alles. Und auch die zwei lassen es an Liebesbeweisen für ihre Tante nicht mangeln. Unzählige neue Gemälde zieren meine Wohnung. Sogar ein Porträt von mir ist dabei. Die Ähnlichkeit muss frappierend sein: "Den Monchichi da solltest Du aufhängen", kommentiert mein Kumpel André trocken, "ist gar nicht schlecht."
Auch habe ich durch die beiden gelernt im Beruf klare Grenzen zu setzen. Neulich erst schoben sich während eines Zoom-Meetings zwei Haareifen mit Katzenohren ins Bild. "Oha Jana, von 0 auf 2. Was für ein Sprung", sagte mein Gegenüber grinsend in die Kamera. Kurz darauf grinste er etwas weniger, denn die beiden junge Damen erklärten, er solle sich bitte kurzfassen, man hätte Pläne für den Nachmittag.
Besagten Nachmittag verbrachten wir dann mit Plätzchen backen. Mit ordentlich Zuckerguss, selbstredend, denn den kann man schließlich herrlich überall verteilen. In der Küche, auf den Klamotten, in den Haaren, im Gesicht. Mir wird gerade klar, dass das Ergebnis aussieht wie die Schlusseinstellung eines Bukake Videos, als es klingelt. Mit geröteten Wangen und Zuckerguss über Gesicht und Haare verteilt öffne ich die Tür. Es sind mein Cousin Sean und Tante Polly. "Oh Scheiße", sagt Polly, als sie mich sieht. "Sorry. Wir wussten nicht dass Du heute Home Office machst", Sean grinst breit.
"Is' Zuckerguss, Du Idiot. Wir backen!" Ich hole mit dem Finger etwas Guss von meiner Wange und halte es ihm hin. "Hier, probier halt wenn Du mir nicht glaubst." Er lehnt ab. Polly sieht mich mitleidig an. "Jana, Liebes, vielleicht sollten wir Dich hier mal ablösen...", Sie bricht ab, nickt Sean zu und verschwindet in Richtung Küche wo ihre Ankunft mit freudigem Quietschen quittiert wird. Sean wirft mich über die Schulter, stellt mich kommentarlos vor der Dusche wieder ab und zieht die Tür hinter sich zu. Als ich kurz darauf in frische Klamotten schlüpfe, piept mein Handy. "Na, wie läuft es?", will meine Freundin wissen. "Voll schief. Aber gut", schreibe ich zurück. Dann beantworte ich die Date-Anfrage.