Manchmal kann und mag man gar nichts mehr von Erinnerungs- und Jahrestagen hören, die im Rauschen der täglichen Nachrichten an uns vorbei rieseln. Selbst verlorenen Socken in der Waschmaschine ist ein Tag gewidmet.  Der Tag der verlorenen Socke fällt ausgerechnet mit dem Tag des Orgasmus zusammen. Und wenn es kein lustiger Spass-Tag ist, dann mahnt er  die Menschen, erinnert sie an ihre Verfehlungen, an Krankheit, Krieg, zerstörte Natur oder an fehlenden Rechten.

 

Und heute ist wieder so ein Tag, wo ich mir vorkomme, wie die Angehörige einer aussterbenden Schildkrötenart. Dabei bevölkere ich und meine zweibeinigen Artgenossinnen die Hälfte dieses Planeten. Am Frauentag, da fühle ich mich immer wie ein Patient, der künstlich beatmet werden muss. Man selber glaubt, man ist am Leben, aber da kommt dann so ein Tag um die Ecke, der einem erklärt, dass man eigentlich doch ein armes Frauchen ist. Und stimmt, er erinnert mich daran, dass ich im Dunklen nicht allein durch die Strassen Berlins laufen möchte.

 

Heute am 8. März feiert die Welt also den Weltfrauentag, der den Frauenrechten und dem Weltfrieden gewidmet ist. Der 8. März ist besonders im Osten Deutschlands und generell in Osteuropa bis heute von grosser Bedeutung und hat einen höheren Bekanntheitsgrad als der Muttertag, der ja eigentlich von der Blumenindustrie erfunden wurde. Männer ehren an diesem Tag ihre Mütter, Ehefrauen, Partnerinnen, Arbeitskolleginnen mit Blumen und Geschenken. Und wenn gerade keine Ehefrau da ist, kann es passieren, das ein Kundenmann an diesem Tag Blumen mitbringt. Ist mir als Escort vor einigen Jahren passiert und hat mich riesig gefreut.

 

Es ist ein Tag zum Freuen, aber auch zum Heulen. Gleiche Rechte, Wahlrecht, Mutterschutz, Arbeitsschutz, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das Recht auf ein gewaltfreies Leben. Einiges ist vollbracht und vieles nicht. Jeder Fortschritt muss stets hart erkämpft werden, was anstrengend ist. Daher legen auch viele gerne die Füsse hoch, kratzen sich die Eier und schicken Mutti zum Bier holen.

 

Wenn Frauen heute selbstverständlich studieren können, Rechtsanwältin, Kanzlerin oder Astronautin werden, kann es nicht darüber hinweg täuschen, dass besonders in Deutschland der Zugang zu Bildung und Aufstiegschancen durch die soziale Herkunft bestimmt wird. Und Mutterschaft bedeutet hierzulande, häufig alleinerziehend und arm zu sein. Armut trifft Alleinerziehende unter den Frauen am häufigsten. Gewissermaßen hinkt Deutschland anderen Ländern in vielem hinterher, auch was das vorgezeichnete Frauenbild betrifft. Es sind zuviel Ängste, zuviele Selbstzweifel vorhanden. Es fehlt an weiblichen Vorbildern, die nicht Lady Gaga heißen. Der Wunsch nach Kontrolle, auch über das Bild, was andere von einem haben, ist überall zu beobachten.

 

Viele berufstätige amerikanische Frauen, die ich traf und die Deutschland kennen, berichten mir, dass sie doch einigermassen überrascht seien, dass die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in einem so hoch entwickelten Land wie Deutschland arg rückwärtsgewandt seien und Jahre hinter den USA zurückhängen.

 

Ehrgeizige und fleissige Frauen wollen für ihre Leistung, ihre Arbeit anerkannt und entsprechend bezahlt werden und nicht von ihrem Arbeitgeber einen kleinen Klaps oder ein Augenzwinkern ernten. Anerkennung: Wie soll das gehen, wenn man deutlich weniger verdient als der männliche Kollege mit gleicher Qualifikation? Natürlich sind unterschiedliche Verdienste für die gleiche Arbeit ein Machtinstrument und wenn man sich nicht dagegen zur Wehr setzt, wird es auch immer so bleiben.

 

Oft ist man auch selber schuld, der Hang zur Selbstausbeutung, ja Masochismus so stark, sich nicht einzugestehen, das auch das vierte unbezahlte Praktikum oder fünfzig unbezahlte Überstunden einen keinen Deut vorwärts bringen.  Und vielleicht liegt die Abscheu gegenüber lauten, frechen und fordernden Frauen genau hier begründet? Und weniger darin, weil die Damen, die sich Feministinnen nennen, anders gekleidet sind, Möhren essen und keine Absätze tragen. Es sind eben jene, die nicht dafür angetreten sind, um zu gefallen und sich in der Herrenwelt lieb Kind zu machen.

 

Ich denke Mut und Veränderung machen Angst, Freiheiten, die andere sich rausnehmen, und die man sich selbst nicht zutraut, sowas wird dann eben abgewehrt.

 

Und so bleibt es dann auch nur bei einem Traum von einem erfüllten Leben aus dem Groschenroman oder dem Wunsch nach einem Prinzen aus einer Glanzbilder-Sammlung. Ein Märchen. Toughe Typen ziehen natürliche Frauen mit Köpfchen, Humor und Selbstbewusstsein einem botoxierten It-Girl-Verschnitt vor. Das ist kein Klischee.

 

Und da Kaufmich ein soziales Netzwerk für Escorts und Kunden ist, erinnere ich bei dieser Gelegenheit einfach noch an den Internationalen Tag der Sexworker Rechte am 3. März, der teils ähnliche Forderungen stellt wie der Frauentag: gleiche Rechte, Arbeitsschutz, Diskriminierungs- und Gewaltverbot. Die Mehrheit aller Erotik-DienstleisterInnen sind Frauen, viele erfahren körperliche und seelische Misshandlungen aufgrund ihrer stigmatisierten Arbeit. Sexworker-Rechte enthalten das Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre, ein Recht auf Leben und Schutz der persönlichen Gesundheit und Sicherheit online und offline. Die Forderung der vollständigen Entkriminalisierung von Sexarbeit bedeutet die uneingeschränkte Gewährleistung dieser Menschenrechte!

 

Viva la vulva! wünscht Ariane G.

 

Written by Ariane G.


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