Klarabella ist 33 Jahre alt. Nicht mehr ganz taufrisch, aber durchaus hübsch. Klarabella hat 2 Kinder, sagen wir, 6 und 8 Jahre alt. Sie wohnt in einer Hochhaussiedlung in einer 2 ½ Zimmer- Wohnung für 850 Euro warm. Alles in allem kommt Klarabella auf ca. 1.300 Euro monatliche Fixkosten. Strom, Telefon, GEZ, Versicherungen, etc. Ein Auto kann sie sich nicht leisten. Gerne würde sie umziehen, zumal die Gegend nicht die Beste ist, aber das ist finanziell unmöglich.
Sie hat einen mittelprächtigen Schulabschluss, eine Lehre absolviert und seit die Keine in der Schule ist, arbeitet unsere Klarabella wieder halbtags als Verkäuferin im Drogeriemarkt.
Was dort am Ende des Monats netto auf der Gehaltsabrechnung steht, ist fast weniger als sie bekäme, wenn sie Hartz4 oder Sozialhilfe beantragen würde.
Das will Klarabella aber nicht. Klarabella hat Stolz und will ein Vorbild für ihre Kinder sein. Außerdem will sie später, wenn die Kinder größer sind, wieder nahtlos in Vollzeit einsteigen. Trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht.
Klarabella ist zu stolz, sich vor die Schulklasse zu stellen und um finanzielle Hilfe zu bitten, damit ihr Kind mit auf Klassenfahrt kommen kann. Sie will nicht, dass ihr Sohn ausgegrenzt wird, weil seine Turnschuhe einen Streifen zu wenig haben. Sie möchte ihrer Tochter den neuen Lillyfee-Schulranzen kaufen, den die Freundinnen auch haben. Die Kinder wachsen und brauchen ständig neue Klamotten und Schuhe. Lange kann sie die gebrauchte Kleidung nicht mehr im Sozialkaufhaus für wenig Geld erwerben, ohne das es den Kindern auffällt.
Sich selber hat sie zuletzt, sie weiß gar nicht mehr wann, kaum etwas gegönnt.
Der Unterhaltsvorschuss, der sie bis dato über Wasser gehalten hat, fällt mit der Einschulung der Kleinen weg. Der Erzeuger zahlt nicht und man sagt ihr, sie könne das Geld ja einklagen.
Sinnloses Unterfangen. Sie hat weder einen Anwalt, noch wird sie auf diesem Weg je einen Cent sehen. Und wenn der Erzeuger verurteilt wird und zahlungsunfähig im Knast sitzt, bringt ihr das weder Befriedigung noch Bares.
Klarabella beschließt, sich zu prostituieren.
Sie hat diesen Job mit 18 Jahren schon einmal unfreiwillig gemacht und weiß, was auf sie zukommt. Damals ist sie durch ihren Freund Ronny in dieses Millieu „eingeführt“ worden. Nach kurzer Zeit gelang ihr der Ausstieg.
Dieses Mal wird Klarabella sich ihre Kunden selber aussuchen und keine Dienstleistungen erbringen, die sie nicht will.
Ein Appartement kommt für sie nicht in Frage, da sie rein zeit technisch nicht so weit fahren kann. Außerdem kann sie keine 50 Euro Tagesmiete zahlen, denn die Kinder sind oft krank und an manchen Tagen könnte sie deswegen gar nicht arbeiten. Was den Betreiber des Hauses nicht die Bohne interessiert. Kassiert wird für eine Woche im voraus. Immer. Ohne Ausnahme.
Laufhaus, Bordelle, Saunaclubs ist nicht Klarabellas Welt und damit will sie nichts mehr zu tun haben. Sie möchte zwar Geld verdienen, aber dabei nicht wieder„ins Milieu“ abrutschen.
Es ist ihr auch wichtig nach der Schule für die Kinder da zu sein. Also beschließt sie, selbständig zu arbeiten. Sie mietet sich, mit Hilfe einer Freundin, die ihren Namen für den Mietvertrag hergibt, eine 1 Zimmer Wohnung in der selben Hochhaussiedlung, in welcher sie mit den Kindern wohnt. Kosten 450 Euro warm plus Strom.
Klarabella schaltet entsprechende Anzeigen und fängt an, Termine zu vereinbaren.
Sie würde gerne mehr Termine machen, kann es aber nicht. Ihre reguläre Tätigkeit und die sonstigen Pflichten lassen dies nicht zu.
Manchmal belügt sie mit schlechtem Gewissen den Großen und bittet ihn, eine Stunde auf seine kleine Schwester aufzupassen, huscht schnell in die Arbeitswohnung, um dann festzustellen, dass der Kunde, der die halbe Stunde gebucht hatte, nicht erscheint. Das kommt übrigens recht häufig vor.
Die wenigen Dates die sie machen kann, ermöglicht u.a. ihre Freundin, die abends auf die Kinder aufpasst.
Klarabella hat ständig Angst.
Angst. entdeckt zu werden.
Angst, dass ein Kunde im Treppenhaus ausflippt.
Angst, eine schlechte Mutter zu sein.
Angst, an den falschen Kunden zu geraten.
Angst, dass das Geld trotzdem nicht reicht.
Angst, dass die Kinder krank werden
Angst, selber krank zu werden.
Von ihren Sorgen, Nöten und ihren Ängsten erfahren die Kunden nichts. Klarabella ist immer gut gelaunt und fröhlich. Sie will ja, dass der Kunde wiederkommt.
Am Ende des Monats hat Klarabella abzüglich aller Kosten von ihrem Hurenlohn vielleicht 500 Euro übrig. Manchmal auch mehr.
Sie überlegt oft, ob sie nicht besser „etwas Anständiges“ machen sollte z.B. die Sonnenbank in ihrer Siedlung für 8,50 Euro putzen. Besser anfühlen würde es sich schon, aber um auf zusätzliche 500 Euro zu kommen, müsste sie fast 60 Stunden monatlich putzen. Abgesehen von der Tatsache, dass die Drogerie keine Zweitjobs gestattet, ist dies mit den kleinen Kindern schlicht unmöglich.
Klarabella ist weder asozial noch arbeitsscheu. Sie hat auch nicht 4 Kinder von 6 verschiedenen Männern und verbringt den Tag vor dem Fernseher, auf welchem von morgens bis abends RTL2 eingeschaltet ist. Ihre Eltern sind auch keine Langzeitarbeitslosen oder Alkoholiker, sondern ganz normale deutsche Durchschnittsbürger. Genau wie sie selber auch. Und so macht Klarabella weiter.
Ich weiß, dass es vielen Frauen genau so oder ähnlich wie Klarabella ergeht.
Alleinerziehende Mütter, die jeden verdammten Tag kämpfen, kämpfen und noch mehr kämpfen.
Ich könnte jetzt etwas darüber schreiben, wie wunderbar und verantwortungsvoll sich unsere deutsche Regierung um die eigenen Bürger kümmert und dabei auch noch erwartet, dass deren Sprösslinge die zukünftigen Renten sichern. Oder wie schön und sinnvoll es ist, dass wir nun das neue Prostitutionsgesetz (das Wort „Schutz“ weigere ich mich zu benennen.) haben, was Frauen in Klarabellas Situation sicher alles noch einfacher und angenehmer machen wird. Aber ich will keine Diskussion über Politik oder das Prostitutionsgesetz entfachen!
Ich wollte nur auf eines hinweisen:
Armutsprostitution findet nicht immer in Billig-Bordellen oder im Ausland statt. Manchmal braucht man gar nicht so weit zu gucken. Einfach nur nach nebenan. Zu der Frau, die Dir täglich im Treppenhaus begegnet.