Chi Mgbako (Autorin): 
To live freely in this world: Sex Worker Activism in Africa
New York University Press 2016
Bezugsquelle
 

 

SexarbeiterInnen kämpfen weltweit für soziale Gerechtigkeit Die internationale Bewegung von SexarbeiterInnen, die sich unter ihrem Dachverband NSWP vereint, ist eine der vielfältigsten und umfassendsten Bewegungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit. Ihre Mitglieder gehören den unterschiedlichsten Ethnien und Nationalitäten an, kommen aus allen sozialen Klassen, und repräsentieren Menschen diverser Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierungen. Der Bewegung steht mitnichten eine ominöse „Prostitutionslobby“ vor, wie GegnerInnen der Sexarbeit immer wieder vorgeben, deren Stimmführer angeblich nur weiße, privilegierte und finanziell unabhängige Frauen aus der Mittelschicht sind. Vielmehr wird mit dieser Darstellung versucht, SexarbeiterInnen, die sich mutig für sich und ihre KollegInnen einsetzen, vom Diskurs auszuschließen; und wie privilegiert Menschen sind, deren Beruf und Lebensweise von Gesellschaft und Politik nach wie vor extrem stigmatisiert wird, darüber ließe sich leicht ein weiterer Beitrag schreiben. Ein Grossteil der dynamischen Entwicklung dieser Bewegung findet nämlich schon seit Jahrzehnten im globalen Süden statt, was die etablierten Medien jedoch im Regelfall geflissentlich ignorieren. So wurde z.B. über das internationale Sex Worker Freedom Festival im Jahre 2012 wenig berichtet, obwohl dieses globale Gipfeltreffen von Sexarbeiter-AktivistInnen in Kalkutta einen offiziellen Hub der Weltaidskonferenz darstellte, die damals in Washington stattfand. Die Parallelkonferenz mit Video-Link war nötig geworden, weil SexarbeiterInnen die Einreise in die USA verweigert wurde und noch immer verweigert wird. Wie „WohltäterInnen“ Menschen in der Sexarbeit schaden Die Diskussionen, bei denen meist nur die immergleichen westlichen Wortführerinnen zu Wort kommen, drehen sich hauptsächlich um die Frage, ob Prostitution per se schädlich sei und Menschen daher aus dieser „gerettet“ werden müssten. Wie auch in Teilen der Entwicklungshilfe hat dieser Diskurs einer globalen, finanzstarken Rettungsindustrie den Weg geebnet, die unzähligen „WohltäterInnen“ in Vereinen und NGOs Arbeitsplätze finanziert, dabei Menschen in der Sexarbeit jedoch nur in Ausnahmefällen helfen, dafür aber mit ihrer wirklichkeitsverzerrenden Öffentlichkeitsarbeit schaden. Sie lenken dabei von den tatsächlichen Problemen ab, mit denen SexarbeiterInnen nicht nur in Afrika konfrontiert sind: Polizeiwillkür, sexualisierte Gewalt, sowohl von Kriminellen, die sich als Kunden tarnen als auch von Polizisten, Grenzbeamten oder anderen Staatsbediensteten, Mord, Stigmatisierung und Zwangs-Outing sowie regelmäßige Diskriminierungen, zum Beispiel auch bei der Gesundheitsvorsorge. Diese Missstände verdeutlichen, dass nicht die Sexarbeit an sich schädigend ist, sondern ihre Kriminalisierung und Stigmatisierung, die diese ermöglichen. Passend ist daher einer der Slogans der SexarbeiterInnen-Bewegung: „No Bad Whores, Just Bad Laws!“ – nicht Huren sind schlecht, sondern Gesetze, die sie benachteiligen und gefährden. Denn solange Straftäter sich sicher sein können, dass die Kriminalisierung und das Stigma SexarbeiterInnen daran hindern, Anzeige zu erstatten, wird die Hemmschwelle, Gewalt gegen SexarbeiterInnen anzuwenden, niedrig bleiben. Das Gleiche gilt für BetreiberInnen, die SexarbeiterInnen ausbeuten im sicheren Wissen, dass diese keinen Zugang zu Rechten wie Arbeits- und Gesundheitsschutz haben bzw. Anspruch auf Beschäftigungs- und Sicherheitsstandards, wie sie in anderen Berufen gelten.  Natürlich gibt es in Afrika, Asien, Europa, und auch sonst in aller Welt gute Kunden, Stammkunden sogar, mit denen es keine Probleme gibt, sondern die Tabus und Grenzen respektieren, Preise ohne Wenn und Aber anerkennen und die Zeit nicht überziehen – solche also, die SexarbeiterInnen respektieren. Doch wie bei Gewalttaten sind die Hemmschwellen zu Grenzüberschreitungen und Belästigungen niedriger in solchen Ländern, in denen Sexarbeit kriminalisiert ist. Freies Leben in dieser Welt: Sexarbeit-Aktivismus in Afrika Chi Adanna Mgbako legt hier ein sehr wichtiges Buch vor, das zeigt, wie afrikanische SexarbeiterInnen PolitikerInnen, religiöse FundamentalistInnen und ProstitutionsgegnerInnen herausfordern. Ihr Buch, für das sie mehr als zweihundert SexarbeiterInnen und AktivistInnen in sieben afrikanischen Ländern interviewte, bildet ein Gegengewicht zur dominanten Erzählweise über „ohnmächtige und erniedrigte Dritte-Welt-Prostituierte“. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich eine afrikanische SexarbeiterInnen-Bewegung namens Sisonke entwickelt, für die SWEAT (Sex Worker Education Advocacy Taskforce) in Südafrika den Grundstein legte. Auch die Gründung der Afrikanischen Allianz von SexarbeiterInnen (African Sex Worker Alliance, ASWA), entstand unter der Mithilfe von SWEAT. ASWA gehören mittlerweise 85 Mitglieds-Organisationen in 30 afrikanischen Ländern an. Es gibt in Afrika kein einziges Land, in dem Sexarbeit vollständig entkriminalisiert ist. Entweder ist der direkte Austausch sexueller Dienstleistungen zwischen AnbieterInnen und KundInnen unter Strafe gestellt, oder aber diverse mit Sexarbeit assoziierte Aktivitäten, wie das Betreiben von Bordellen oder das „Profitieren“ aus Einkünften der Prostitution, kurz: die Kriminalisierung Dritter. Dazu zählt z.B. auch Sicherheitspersonal, das SexarbeiterInnen selbst anstellen. Dass einem vieles davon bekannt vorkommt, ist dabei kein Zufall, denn viele der Anti-Prostitutionsgesetze haben ihre Wurzeln noch in der Kolonialzeit und beruhen auf Verordnungen, die im europäischen Strafrecht bis heute gültig sind. Das Verständnis afrikanischer SexarbeiterInnen von ‚Sexarbeit als Arbeit‘ ist nicht erst mit den Forderungen nach Entkriminalisierung durch westliche Hurenbewegungen entstanden, sondern hat seinen Ursprung ebenso in der Kolonialzeit. Kenianische SexarbeiterInnen hatten die Prostitution damals bereits als bewährtes Mittel der „Kapitalakkumulation“ betrachtet, nicht als verachtenswertes Schicksal. Viele von ihnen schufen sich mit den so erworbenen finanziellen Mitteln unabhängiges Eigentum, das ihnen aufgrund der patrilinearen Erbfolge, also von Vätern an ihre Söhne, im Allgemeinen verwehrt blieb. Das verdeutlicht, dass insbesondere Frauen in der Sexarbeit auch daher verfolgt werden, weil sie patriarchale Eigentumsverhältnisse und die Grundfesten staatlicher Reproduktionspolitik herausfordern: viele SexarbeiterInnen geniessen eine Freiheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit, die sie in einer von Männern kontrollierten, traditionellen Beziehung in den allermeisten Fällen nicht finden. Auch aus diesen Gründen wird Sexarbeit gesellschaftlich ausgegrenzt und stigmatisiert. Warum sollte das Buch unbedingt auch im Westen gelesen werden? Chi Mgbakos Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Sexarbeitsdebatte, da MigrantInnen inzwischen einen Grossteil der SexarbeiterInnen in Westeuropa ausmachen. Das wirft Fragen auf nach Privilegien und sozialen Klassen unter SexarbeiterInnen, darunter die Einbeziehung oder den Ausschluss von SexarbeiterInnen mit bestimmten Merkmalen oder Status in der Bewegung selbst, und damit die Frage um etwaige Klassendiskriminierungen und Respectability Politics – eine häufig beobachtbare Anpassungsstrategie marginalisierter und stigmatisierter Gruppen an populäre Werte, um gesellschaftliche Anerkennung zu finden, anstatt den Mainstream in Frage und grundsätzliche Unterschiede herauszustellen und zu akzeptieren. Mgbakos Buch spricht auch Probleme an, mit denen sich SexarbeiterInnen weltweit auseinandersetzen müssen, z.B. bei der Gründung von Vereinen, um ihre Interessen zu vertreten: wer sollte Führungspositionen übernehmen, welche Qualifikationen sollten dafür den Ausschlag geben, und welche Führungsstruktur sollte ein solcher Verein haben: eine Führung von oben oder von der Basis? Wie sollte sich der Verein finanzieren? Wie bleibt er politisch unabhängig und uneinnehmbar von Dritten? Diskurse über Sexarbeit müssen immer auch Diskurse über soziale Ungleichheit sein und über marginalisierte und stigmatisierte Gruppen wie transidente SexarbeiterInnen, SexarbeiterInnen, die mit HIV leben oder Drogen konsumieren, migrantische SexarbeiterInnen, die legal oder illegal Grenzen überquert haben oder gar staatenlos sind, es geht schlicht um alle Menschen, die mit Sexarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Über jene, die wegen sog. „illegaler Prostitution“ im Gefängnis sitzen, wird selten gesprochen, auch nicht über diejenigen, die verächtlich als „AO Nutten“ bezeichnet werden, d.h. SexarbeiterInnen, die Sex ohne jeglichen Schutz anbieten, oder über SexarbeiterInnen, die erkranken und ohne Krankenversicherung in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Der Unterschied zwischen Legalisierung und Entkriminalisierung Eine Legalisierung der Sexarbeit, wie es sie in verschiedenen Formen in den Niederlanden, im US-Bundesstaat Nevada, im Senegal oder in Deutschland gibt, hat nur vorgeblich das Ziel, die Rechte von SexarbeiterInnen effektiv zu schützen. Stattdessen geht sie einher mit der Zwangsregistrierung und Lizenzierung von SexarbeiterInnen und Prostitutionsstätten, mit Zwangsuntersuchungen sowie Sperrbezirks- und Sonderverordnungen. Diese Regularien produzieren eine breite Schicht an SexarbeiterInnen, denen keine Wahl bleibt als illegal zu arbeiten, und die somit kriminalisiert sind. Das Entkriminalisierungsmodell in Neuseeland dient nicht ohne Grund als weltweites Vorbild, denn es entkriminalisiert auch die o.g. mit der Sexarbeit assoziierten Aktivitäten, wohingegen Gewalttaten, Nötigungen und ausbeuterische Praktiken durch das allgemeine Strafrecht verboten bleiben. Allerdings ist MigrantInnen verboten, in der Prostitution zu arbeiten, weswegen sie bei Zuwiderhandlungen abgeschoben werden, ein Umstand der von der lokalen SexarbeiterInnen-Organisation abgelehnt wird. SexarbeiterInnen im globalen Süden und weltweit Es ist nicht erstaunlich, sondern nur allzu verständlich, dass sich die mitgliederstärksten Organisationen von Sexarbeit-AktivistInnen im globalen Süden befinden, insbesondere in Südostasien und Afrika. Nirgendwo sonst gehen so viele SexarbeiterInnen auf die Strasse, um für ihre Menschenrechte einzutreten. Sie vereint u.a. eine  Geschichte der Kolonisation und den Kampf ihrer Landsleute dagegen. Schließlich ist es auch kein Zufall, dass über nationale Grenzen hinweg vernetzte Hurenbewegungen in den USA, Frankreich und nun in Südafrika ihren Ausgang genommen haben. Denn nicht nur ist die Sexarbeit in diesen Ländern nach wie vor in verschiedenem Maße kriminalisiert, sondern es ist offenbar auch leichter, derart vernetzte Bewegungen in Ländern zu starten, die eine reiche Geschichte politischer Kämpfe und eine starke Zivilgesellschaft haben. Dies gilt sowohl für die USA und ihrer starken Bürgerrechtsbewegung, als auch für Frankreich mit seiner Revolutionsgeschichte und Mentalität, die auch heute noch Generalstreiks ermöglicht, für Südafrika und den Kampf gegen die  Apartheid sowie Kenia, dessen Bevölkerung sich gegen den britischen Kolonialismus auflehnte. Daher kann man schlussfolgern, dass dort, wo sich soziale Bewegungen gegen Unterdrückungen erfolgreich aufgelehnt haben, auch SexarbeiterInnen leichter zu mobilisieren sind. Die politische Arbeit von NGOs wie SWEAT in Südafrika, die die dortige Rechtsprechung beeinflussen und den Zugang zu Gesundheitsdiensten für alle SexarbeiterInnen gewährleisten wollen, ist von unschätzbarem Wert. Wenn diese Arbeit jedoch nicht langfristig von SexarbeiterInnen geleistet wird und Organisationen nicht von SexarbeiterInnen angeführt werden, sondern stellvertretend von BetreiberInnen, SozialarbeiterInnen, AkademikerInnen und anderen, kann die soziale Bewegung von SexarbeiterInnen im Kampf um ihre Rechte nicht nachhaltig voranschreiten und weltweit erfolgreich sein. Die Annahme, dass Menschen, die nicht direkt von einer Unterdrückung betroffen sind, eine Revolution für Unterdrückte erfolgreich durchführen können, ist absurd. Daher gilt der abgewandelte Slogan der Arbeiterbewegung: Sex workers of the world – unite! SexarbeiterInnen auf der ganzen Welt – kämpft zusammen!  

 

 

 

 

 

Written by Susi


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