Das Buch, worum es geht, ist von der irischen Journalistin Rachel Moran geschrieben. Ihre Autobiographie heisst: „Was vom Menschen übrig bleibt. Die Wahrheit über Prostitution“.
Rachel Moran hat zuletzt auch eine Gruppe und Online-Plattform SPACE (Survivors of Prostitution-Abuse Calling for Enlightenment) gegründet, die den Interessen der sog. „Überlebenden“ der Prostitution dienen soll und wo gegen die Verharmlosung der Prostitution gekämpft wird. Moran behauptet entschieden, dass „freiwillige und selbstbestimmte Prostitution ein Mythos“ sei. Dies ist eine ihrer Thesen, die sie in ihrem Buch begründet.
Rachel Moran ist unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen: beide Eltern waren psychisch krank, der Vater litt an Depressionen, die Mutter an einer unbehandelten Psychose. Sie wuchs unter sehr ärmlichen Bedingungen auf, riss mit 15 Jahren von zuhause aus und landete in der Prostitution, dem Strassenstrich von Dublin. Später arbeitete sie auch in Bordellen und als Escort.
Sie schreibt, sie hätte es überlebt und spricht von Kunden als Tätern, die die Prostituierten missbrauchen. Es ginge immer um Macht, deshalb sei die Sexualität der Frauen in diesem Gewerbe auch keine selbstbestimmte. Gewalterfahrungen mache jede Prostituierte. Moran wendet sich an die Prostitutionsbefürworter, denen sie abspricht zu wissen, wovon sie sprechen. Es gäbe keine freiwillige Prostitution, da Frauen immer aus Not, meist wirtschaftliche Not, in diesen Job reingehen.
Sie berichtet von ihren Gesprächen mit anderen Frauen, allesamt Prostituierte, die die sexuellen Handlungen von Kunden als „Missbrauch“ beschreiben, der ihren Körpern aufgezwungen wird.
Sie schreibt: „Wenn man sich prostituiert, geschieht im Grunde Folgendes: Man willigt ein und akzeptiert ein Entgelt für den sexuellen Missbrauch am eigenen Körper. Man durchlebt all die negativen Gefühle, die mit sexuellem Missbrauch einhergehen, aber weil man eingewilligt hat, hat man sich praktisch selbst geknebelt. Man hat im wahrsten Sinne des Wortes sein Recht darauf verwirkt, seiner eigenen Sichtweise Ausdruck zu geben.“ Und weiter: „Die Erniedrigung, die auf sexueller Ebene geschieht, beschränkt sich nicht auf die Sphäre des Sexuellen. Sie sickert in das gesamte Leben eines Menschen ein, insbesondere wenn sie wiederholt und ritualisiert erfolgt. Drogen- und Alkoholsucht, vernichtetes Vertrauen, zerschmettertes Selbstwertgefühl, körperliche Selbstverletzungen, Selbstmordgedanken - all diese Dinge sind allgemein als die Früchte von sexuellem Missbrauch anerkannt. Und all dies habe ich in der Prostitution im Überfluss gesehen.“
Was dagegen in unserer Gegenwart stattgefunden hat und was die Prostitutionsbefürworter beabsichtigen, sei eine „Normalisierung der Prostitution“, d.h. ihr grundsätzlich schädigendes Wesen muss vertuscht werden. Deshalb wendet sie sich auch gegen den Begriff der „Sexarbeit“, der ein Täuschungsmanöver sei und das sexuell ausbeuterische Tauschgeschäft verschleiert. Die Bildsprache von „Sexarbeit“ suggeriert Sauberkeit und Ordnung und habe nichts gemein mit dem, was eine Prostituierte tatsächlich tut, nämlich sich täglich dem Sperma und der Sexualität von Männern auszusetzen. Deshalb spricht Moran hier von Schönfärberei. Sie diskutiert den Begriff der Sexarbeit auch dahingehend, dass sie verstehen möchte, worin genau die Arbeit besteht. Sie besteht demnach aus Geschlechtsverkehr, der Vortäuschung von sexueller Lust, der Fähigkeit körperliche Verletzungen auszuhalten und zu erlauben, dass der eigene Körper auf jede vorstellbare Weise benutzt wird: „Wenn kein Geld fliesst, werden diese Handlungen als Belästigung oder Missbrauch bezeichnet.“
In Rachel Morans eigener Erfahrung ist es so, dass zwar sexuelle Handlungen und Preis mit den Kunden vereinbart werden, sich diese aber weitgehend nicht daran halten und die Grenzen überschreiten. Das sei deshalb so, weil die Kunden eine „zutiefst genussvolle Befriedigung“ daraus ziehen, die Frauen zu erniedrigen und für die Frauen selbst sexuell abstossende Praktiken zu vollziehen. Natürliche Reaktionen wie Weinen, Angst und Panik werden auf Seiten der Frauen unterbunden, sie spricht hier von „Dissoziation“, also Abspaltung auf psychologischer Ebene, die sie dazu befähigt, den „Würgereflex oder den Drang zum Weinen zu unterbinden“.
Deshalb fragt sie Prostitutionsbefürworter, die eine „Schadensbegrenzung“ (harm reduction) verfolgen, dass wenn die Prostitution keine Gewalt gegen Frauen und nicht schädigend sei, welcher Schaden dann eigentlich begrenzt werden solle. Darauf hätte sie noch keine Antwort erhalten. Ebenfalls fragt Moran bezüglich der freien und selbstgewählten Entscheidung, Prostitution auszuüben, wie es sein kann, dass so viele Frauen, die Opfer von Menschenhandel werden, „hinters Licht geführt und versklavt werden, um bei der Prostitution mitzumachen“. Deshalb findet sie die Unterscheidung zwischen „freien“ Prostituierten und Opfern von Menschenhandel falsch, da beide sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind: „Für diejenigen von uns, die in die Kategorie „frei“ fallen, übt das Leben den Zwang aus.“
Rachel Moran weiss, dass viele Prostituierte all das nicht gerne hören möchten, weil „sie es selbst nicht gerne gehört hätte, als sie sich noch in der Prostitution befand“.
Ich könnte noch mehr zu diesem Buch schreiben, auch dass sie die weit verbreitete These verwirft, Prostitution schütze vor Vergewaltigungen, ganz einfach, weil Vergewaltiger auch zu Prostituierten gehen, aber ich belasse es hier mal dabei.
Das Buch ist harte Kost, aber wer sich mal auf die Gedanken einer ehemaligen Prostituierten einlassen will, die „ihre Wahrheit über Prostitution“ anschaulich beschreibt, dem sei dieses Buch empfohlen.
Erschienen ist es im Tectum Verlag Marburg 2015. Auch als günstige Kindle-Edition lieferbar.