Die Journalistin Aline Wüst hat in Schweizer Bordellen recherchiert. Dabei hat sie mit über 100 Sexarbeiterinnen gesprochen und gibt Auskunft über die Prostitution in der Schweiz. Zu ihren Gesprächspartnern zählen neben den Sexarbeiterinnen auch Bordellbetreiber, Kunden, Milieu-Anwälte, Polizei, Einwanderungsbehörden und andere Kenner der Szene.

 

Zwischen Selbstbestimmung und Ausbeutung

Herausgekommen ist ein detailreiches Bild über die Welt der Sexarbeit. Sonst ist die öffentliche Debatte doch sehr von Gegensätzen geprägt und tritt auf der Stelle. Entweder beschreiben Sexarbeiter:innen die Welt der Sexarbeit sehr positiv oder Prostitutionsgegner:innen sehr negativ.

 

Die Wahrheit liegt wohl wie immer in der Mitte. Denn zwischen freiwilliger und selbstbestimmter Prostitution auf der einen Seite sowie Ausbeutung und Zwang auf der anderen liegt offenbar ein Graubereich, wo die Lebensrealität der meisten Sexworker angesiedelt ist.

 

Vielen Prostituierten ist die Zwangslage, in der sie stecken, häufig kaum bewusst. Für viele ist es normal, auf Druck der Familien oder Freunde in der Sexarbeit zu arbeiten und entsprechend Geld für andere anzuschaffen. Der Zwang darin ist jedoch äußerlich schwierig zu erkennen. Viele Sexworker mit Loverboys schaffen nach ihrem Selbstverständnis und laut eigenen Aussagen ja freiwillig an. 

Ketten im Kopf

Die Gesprächspartnerinnen von Aline Wüst sind hauptsächlich migrantische Sexworker in der Schweiz. Die meisten Frauen mit osteuropäischen Wurzeln. Demnach sind 95% aller Sexarbeitenden in der Schweiz ausländischen Ursprungs. So der Chef der Ausländerbehörde und Fremdenpolizei. Er spricht auch von einem normativen Zwang, wenn mehrere Faktoren aufeinander treffen: typisch sei, sie ist jung, hat kein Geld und ein Kind. Die Ketten des Zwangs seien deshalb im Kopf und äußerlich meist unsichtbar.

 

Was die Sexarbeiterinnen in diesem Buch zu berichten haben, geht unter die Haut. Um es klar zu sagen: hier ist nicht von der sex positiven und selbstbewußten Sexarbeiterin die Rede, die in der Sexarbeit ihr Glück und ihre Bestimmung gefunden hat und die immer öffentlich betont, wieviel Spass ihr der Job macht.

 

Das Bild, das hier gezeichnet wird, deckt sich durchaus mit den Erfahrungen der Rezensentin. Wobei eigene Erfahrungen in der Sexarbeit in Europa und der Schweiz, viele Gespräche mit Sexarbeitenden in Europa die Grundlage einer umfassenden Meinungsbildung sind.

 

Sexarbeiterinnen berichten über ihre persönliche Situation

Dort wo es tatsächlich zu Ermittlungen gegen Menschenhandel und Zuhälterei kommt, sind Verurteilungen vergleichsweise selten.  Das liegt hauptsächlich an der mangelnden Aussagebereitschaft der meist eingeschüchterten und bedrohten Frauen. Von geschätzten 13.000 bis 25.000 Sexarbeitenden in der Schweiz, gab es im Jahr 2019 99 Fälle von Menschenhandel, wo es zu 4 Verurteilungen kam sowie 108 Fälle, wo gegen Zuhälterei ermittelt wurde. Hier kam es zu 19 Verurteilungen.

 

Aber die Journalistin interessiert sich für die persönliche Situation der Sexarbeitenden, die ihr auch bereitwillig Auskunft geben, nachdem Aline Wüst über einen langen Zeitraum ein Vertrauensverhältnis zu vielen Prostituierten im Bordell aufbauen konnte.  Offenbar bewegt sich die Lebensrealität der hier portraitierten Sexarbeiterinnen zwischen Zwang und freiem Willen irgendwo dazwischen. Hier gibt es kein Verständnis für feministische Diskurse und Debatten um Selbstbestimmung im Sexgewerbe. Das ist eine andere Welt der Bildung und Akademie, wovon die meisten Sexworker im täglichen Leben ausgeschlossen sind.

 

Legalisierung löst keine Probleme in der Prostitution

Die Leiterin einer Schutzunterkunft für Prostituierte in Rumänien hat dazu ihre ganz eigene Meinung: „Es gibt keine Unterscheidung zwischen Menschenhandel und Prostitution“ so Monica Boseff. Ausnahmslos alle Frauen, die in ihrem Schutzhaus landen, wurden Opfer von Missbrauch, Ausbeutung, Loverboys, Menschenhandel. Sie meint über Prostitution, dass man auch mit einer Legalisierung die Probleme nicht löst. Dies hält auch eine Mutter nicht davon ab, ihre 11 jährige Tochter auf den Strich zu schicken.  Fast alle Sexarbeitenden, die in diesem Buch zu Wort kommen, sagen, daß sie diese Arbeit nicht gerne machen und nur wegen des Geldes arbeiten. Hier teilen sie das gleiche Schicksal wie fast alle Berufstätigen. Nur wenige Berufstätigen sind so privilegiert, daß sie in ihrer Arbeit eine Berufung sehen.

 

Dies ist eine andere Perspektive als Verbände und Lobbygruppen für die Sexarbeit immer betonen: dass man nämlich zwischen Sexarbeit und Menschenhandel strikt trennen muß. Gibt es diese eindeutige und klare Trennlinie in der Realität, die durch strukturelle Gewalt wie Armut geprägt ist?

 

Andere betonen, dass die Kontrolle über Sexarbeiter:innen bereits durch Betreiber:innen und sog. Kapo-Frauen (das sind aktive Prostituierte, die an der Sexarbeit anderer profitieren) sowie dritte Personen stattfindet. Die Frage ist, inwieweit vom Idealbild „Freiwilligkeit und Selbstbestimmung“ hier gesprochen werden kann.  Aber es ist sinnvoll, sich selber zum Buch eine Meinung zu bilden und die Berichte und Protokolle zu lesen, um einen Blick auf die Welt der Sexarbeit in der Schweiz zu werfen.

 

Zum Schluß wird der Kampf um Deutungshoheit der Sexwork positiven Verbände kritisch reflektiert, die betonen, dass es eine strikte Trennung zwischen Sexarbeit und Menschenhandel gibt und man deshalb über die Opfer nicht reden muß. Dies festigt allerdings die polarisierenden Diskussionen und erzeugt keine weiterführenden Perspektiven in der Debatte.

 

.Es ist lohnenswerte Lektüre für jene, die sich mit den Realitäten normaler Sexarbeiter:innen in der Schweiz beschäftigen möchten. Schließlich hat die Journalistin Aline Wüst mehrere Jahre gründlich recherchiert, in der Schweiz und Osteuropa.

 

Bezugsquelle: Aline Wüst: Piff, Paff, Puff - Prostitution in der Schweiz, Echtzeit Verlag 2020

 

 

 

Wie ist Eure Meinung zu diesem Buch? Wir freuen uns auf Eure Kommentare. Bist Du eine SExpertin? Das Magazin: immer Neues aus der Welt der Sexarbeit!

 

 

 

Written by Susi


1 comment

Anonymous

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Ein Hoch auf die Autorin. 2 Jahre sind eine Menge Arbeit! Der gesamte Inhalt des Buches ist authentisch und mit sehr, sehr viel Aufwand zusammen gekommen. Eine junge Frau, die sich als Frau an dieses Thema heran wagt, verdient meine Hochachtung. Jedoch fehlt das Ganze. Es ist für mich zu versteift auf klassische Klischees. Journalisten recherchieren, im Internet, in Archiven oder aber wo auch immer. Nähern sich danach der „ Szene“ an (Und dafür, wie Sie das gemacht hat, ziehe ich den Hut).Nur fehlt eines ganz gewaltig. Und das ist die „andere Seite“. Kein Wort von Exzesse, kein Wort von all den Feinheiten, den nicht nur Grautönen, sondern vor allem von jenen Frauen, die diese Tätigkeit erfolgreich und mit Stolz ausüben. Kein Satz von wilden Partys, kein Ton von Bitchbodys, die einfach von einem Tag zum nächsten Leben, keine einzige Zeile von Erfolg, Lebensgestaltung, Hoffnung oder Perspektive, stattdessen leider nur ein Abgesang auf die „Osteuropäische“ Situation, die gut aber auch wieder nicht als Referenz abgebildet ist. Nein Aline, so einfach ist die „Szene“ nicht, wie sie Du darstellst. Was Dir gefehlt hat ist die „Gegenhälfte“. Für all jene, die einen ersten Einblick in das „Hinter-die-Fassade“ werfen möchten ein erster Eindruck, jedoch meilenweit von dem entfernt, was der ganze Kuchen bietet. Empfehlen würde ich das Buch auf jeden Fall. Kevin Zu Kevin: Freund, Nuttenheirater, Single, Verlobter, Puffbesucher, Vater, Onkel, Trauzeuge, Götti, Grabtröster, Trauzeuge, Ausbilder, Offizier, Freier und all das, was das Leben sonst noch bringt...

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