Sex, Crime und tote Nutten in Film und Fernsehen. Warum gibt es eigentlich im deutschen „Tatort“ so viele "tote Nutten"? Welche Bilder in unseren Köpfen erzeugen Film und Fernsehen? Ein Beitrag über Prostitution im Tatort und kulturelles „Framing“.
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26 Tatort Folgen zwischen 2012-2018 zum Thema Prostitution und tote Nutten
"Tatort", des Deutschen liebster Krimi, und was das mit toten Huren und Stigma zu tun hat. Davon handelt meine heutige Kolumne.
Vor einiger Zeit schon ist mir aufgefallen, daß im gefühlten jeden zweiten Krimi in Deutschland eine Prostituierte ermordet wird. Nun hab ich einmal genauer nachgeforscht und mich auch mit Kolleginnen darüber unterhalten. Heraus kam, dass im populären „Tatort“ Krimi, der regelmäßig feste Sendeplätze im ARD und den Regionalsendern hat, ebenfalls häufig Prostituierte Opfer von Mord, Ausbeutung und Gewalt sind. Ich habe hier eine Statistik vorliegen: zwischen 2012 und 2018 wurden 26 Tatort Folgen gezählt, wo Prostitution Thema war und meist Prostituierte ermordet oder ausgebeutet wurden.
Prostitution und Gewalt
Das Thema Prostitution und Gewalt wird so eng verknüpft und landet im Kopf der Zuschauer. Man muß sich das mal vorstellen: von der arbeitenden Bevölkerung sind die Hälfte Frauen, etwa 20 Millionen in Deutschland. Davon sind geschätzt 200.000 Sexarbeiter*innen. Das ist ein Promille in der Gesamtzahl der Bevölkerung, für das eigens das unwirksame
Prostituiertenschutzgesetz geschaffen wurde, das die Staatskasse füllen soll.
Laut der Medienberichterstattung, die ich seit vielen Jahren verfolge, gibt es vergleichsweise wenig Morde in Deutschland an Prostituierten bzw. SexarbeiterInnen. Im Vergleich zu den USA und Großbritannien, wo die Gewaltrate ungleich höher ist. Hat es was mit der Legalisierung von Prostitution in Deutschland zu tun, wenn es weniger Opfer gibt als in anderen Ländern mit Prostitutionsverboten und der Kriminalisierung von Sexarbeiter*innen? Warum wird das Thema also hierzulande aufgebauscht?
Natürlich zieht das Theme Sex & Crime die Zuschauer an. Die Deutschen sind Spitzenreiter beim Krimis schauen. Auch bei den Lesegewohnheiten liegt der Krimi vorn.
Deutsche lieben Morde. Nur tote Nutten sind gute Nutten?
Wenn also in jedem gefühlten zweiten Krimi eine tote Sexarbeiter*in vorkommt, aber das Thema Sexarbeit und Prostitution sonst kaum die Gazetten füllt und Öffentlichkeit erregt, außer in Zusammenhang mit Kriminalität, Menschenhandel und Ausbeutung, bekommt man den Eindruck, daß dieser Diskurs vor allem ein Bild schafft: nur tote Nutten sind gute Nutten. Ein Skandal! Es ist ihre festgelegte Rolle, Opfer von Gewalt und Ausbeutung zu werden, die zig Filme durchzieht.
Sonst sind Sexworker unsichtbar
Ansonsten sind Sexarbeiter*innen - auch in ihrer Vielfalt gelebten Lebens - komplett unsichtbar. Außer in der Filter Bubble von Aktivist*innen, Freiern und Unterstützern, die sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen engagieren, taucht Sexarbeit und Prostitution nirgendwo auf. Und ansonsten noch im täglichen Leben von Beratungsstellen, Staatsanwaltschaften und Behörden, die beruflich mit Prostitution zu tun haben und das „soziale Problem“ regeln sollen.
Dies hat verheerende Folgen: durch die Verbindung von Prostitution und Kriminalität wird
von Sexarbeiter*innen ein Bild in der Öffentlichkeit gezeichnet, daß extrem stigmatisierend ist. Der normale Alltag von Prostituierten findet in der Öffentlichkeit eigentlich garnicht statt. Auch die meisten Reportagen berichten über Menschenhandel und Zwangsprostitution und verwischen die Grenzen zu der normalen selbstbestimmten Sexarbeit.
Prostitutionsgegner schauen zu viele Krimis
Schauen Prostitutionsgegner*innen also zuviele Krimis, wenn sie den Anteil von Zwangsprostituierten bei 90% verorten? Diese Zahl hält sich auch hartnäckig in den Medien. Hier wird der hohe Anteil von Migrant*innen in der Sexarbeit (die Schätzungen schwanken zwischen 70-90%) auf Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution umgerechnet. Eine ungeheure Behauptung, für die die Realität und auch das Bundeslagebild Menschenhandel des BKA überhaupt keine Beweise liefert.
All dies wird in der Sozialwissenschaft „Framing“ genannt. Das bedeutet, es wird nur ein kleiner Teilaspekt aus einer vielschichtigen Realität herausgenommen und hervorgehoben, um eine einzige Interpretation von Wirklichkeit, eine moralische Bewertung oder Handlungsempfehlungen zu liefern.
Das Hurenstigma zwingt Sexworker in ein Doppelleben und Isolation
Dies ist von ungeheurer Bedeutung für das Hurenstigma, dass bereits jetzt fast alle Sexarbeiter*innen in ein Doppelleben zwingt. Schlimmer aber ist, daß das Stigma verheerende Wirkungen in den Köpfen der Gesellschaft hat. Wenn nur eine tote Hure eine gute Hure ist, bedeutet das einen Freifahrtschein für alle Gewalttäter, die so einer Hure überhaupt keinen Respekt entgegen bringen.
Auch von Serienkillern, die in der Vergangenheit bevorzugt Prostituierte ermordet haben, war im In- und Ausland zu hören, daß sie sich diese Zielpersonen gegriffen haben, weil die Existenz von Prostituierten doch niemanden interessiert und sich auch keiner um diese Gruppe kümmert.
Bitte merken: der 17. Dezember ist ein Gedenktag gegen Gewalt an Sexworkern
Wir gedenken alljährlich am 17. Dezember weltweit dem Tag der Gewalt gegen Sexarbeiter*innen. Hauptursache von Gewalt, Mord und Kriminalisierung dieser am stärksten marginaliserten Personengruppe ist das Stigma, daß Täter veranlaßt zu glauben, im Interesse einer Gesellschaft zu handeln, der die Prostituierten scheiß egal sind.
Und deshalb ist die Analyse der Medienberichterstattung und der Verfilmungen zum Thema Prostitution auch so wichtig. Hier werden Realitäten geschaffen, die sich in den Köpfen festsetzen und das Stigma immer weiter reproduzieren.
Dabei ist es so wichtig, das Hurenstigma zu bekämpfen. Es darf nicht sein, daß ein Menschenleben wertlos ist, weil diese Person Sexarbeit ausübt. Es gibt ein Leben jenseits der Schlagzeilen, aber die Filmemacher stürzen sich nur auf Sex & Crime, um die Zuschauer und Leser zu belustigen und zu unterhalten. Welche Folgen das hat, bleibt völlig unterbelichtet.
Filme über Prostitution spielen also eine ungeheure Rolle, die Bilder in unseren Köpfen zu beeinflussen und damit unser Blick auf Wirklichkeit. Ist es denn so schwierig spannende Drehbücher zu schreiben, wo keine tote Nutte auftaucht?
Ein Blick in die
Filmgeschichte zeigt, daß es auch Filme über Prostitution und ohne tote Nutten gibt, wo es keine toten Prostituierten gibt, sondern unverschämt gute Unterhaltung.
Deutsche Gesetze leisten Ausbeutung und toten Nutten Vorschub
Kürzlich war ich beim Fachtag in Berlin zum Thema Sexarbeit, Sexkaufverbot und Menschenhandel“. Solange Prostitution in Deutschland durch Gesetze und Verordnungen reguliert werden, die Sexarbeitende nicht schützen, sondern kriminalisieren und Ausbeutung Vorschub leisten, solange dieser Zusammenhang nicht erkannt wird, wird es weiterhin Stigma und Gewalt geben. Auch darüber sprach der
Fachtag in Berlin.
Ein Tag, den man sich merken muß
Und denkt dran: Am 17. Dezember ist wieder der internationale Tag gegen Gewalt an Sexarbeiter*innen. Wir machen diesen Tag alljährlich auf Kaufmich bekannt. Man muß gemeinsam dem Stigma entgegen treten, damit es keine „toten Nutten“ mehr gibt. Der Begriff „Nutte“ ist eine Herabwürdigung und damit ein erster Akt der Sprachgewalt. Dies betrifft nicht nur die Beteiligten in der Erotik Industrie, sondern die Gesellschaft insgesamt, die ein Interesse daran hat, daß es keine Politik gibt, die Opfer schafft.
Was machen Krimis mit Euch? Inwieweit bestimmen Filme Eure Vorstellung von Sexarbeiter*innen, Escorts, Huren und Hobbynutten, Prostituierten, Professionelle? Ich bin auf Eure Antworten gespannt.
Written by Susi