Im Emil-Fischer-Hörsaal der Humboldt-Universität zu Berlin hatte sich ein sehr vielfältiges Völkchen eingefunden, zu etwa 88% weiblich, mit verblüffend geringem Paradiesvogelanteil. Ein typisches Publikum für eine „Frauenpolitik“- Veranstaltung, außer dass die übliche Fraktion der demonstrativ Leidgeplagten fehlte und auch die ideologisch geschulte BesserwisserIn zu Haus geblieben war. Freudige Erwartung - die Chemie stimmte, nicht nur an der Wand über dem Podium.
Wer ist hier Sexarbeiterin, wer nicht? Diese Frage ging wohl nicht nur in meinem Kopf herum. Meine Banknachbarinnen stellten sich heraus als: Eine Ministerialdirigentin aus NRW, eine Redakteurin einer feministischen Zeitschrift und eine Vertreterin des Bundesministeriums für Gesundheit. Viele Anwesende trugen den Button: „Redet mit - nicht über uns!“ und wiesen sich so als Ansprechpartner für jede neugierige Frage aus. Die Sexarbeit bekam Gesichter - und auch meines oder deines wäre an dieser Stelle ebenso glaubwürdig erschienen. Wenn an Prostitution etwas ungewöhnliches ist, dann jedenfalls nicht die Menschen, die sie ausüben oder als Kunden in Anspruch nehmen! Womit die Frage „Wer?“ unwichtig wird, und man sich mit echten Fragen beschäftigen kann: Was ist problematisch?
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„Man erwartet, dass über Probleme von DienstleisterInnen gesprochen wird. Ich sage dazu, dass ich das Wort „Problem“ ablehne! So genannte Probleme werden überwiegend außerhalb erlebt, nicht bei, oder durch die Sexarbeit.“
Liad Hussein-Kantorowicz, Sexarbeiterin
„Wir haben gelernt, wie verletzend das Wort „Zwangsprostitution“ empfunden wird, und wir verwenden es nicht mehr ( . . .) Entscheidungen von Frauen / Menschen sind anzuerkennen, auch - oder grade dann - wenn man selbst sich nie so entscheiden würde.“
Henny Engels, für den Deutschen Frauenrat
„Was glauben Sie, was ich alles zu hören bekam, weil ich zu „so einem“ Kongress gehe!“
Dr. Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung
„Noch erschreckender als der Appell von Alice Schwarzer ist, wer ihn unter anderem unterzeichnet hat: Menschen, die ich ansonsten schätze . . .“
Claudia Zimmermann-Schwarz, „Feministin alter Schule“ (P.Biermann)
„Das Problem bleibt die gesellschaftliche Sicht auf Prostitution, nicht die Prostitution an sich.“
Undine de Rivière, Pressesprecherin des BesD
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In sechs Vorträgen erfuhren wir viel darüber, warum ArbeitsmigrantInnen eine so prominente Rolle „auf dem Strich“ spielen - hauptsächlich nicht, weil sie leicht manipulierbar wären, sondern weil „reguläre“ Arbeit für sie kaum zugänglich ist.
Wir bekamen gezeigt, wie Medien es schaffen, dass Prostituierte als Opfer wahrgenommen werden, dass die Assoziation „Kriminalität“ sich quasi automatisch beim Betrachter einstellt - per Bildgestaltung oder Platzierung von Beiträgen. Welche Motive dahinter stehen könnten: Vom schlichten „sex sells“ bis zur Nutzung als Transportmittel für Vorhaben der „Ordnungspolitik“, denen ohne die Verknüpfung mit Sexualität zu viel Widerstand aus der Bevölkerung entgegenschlagen würde.
Wir hörten, wie sich staatliche Stellen der Ausgestaltung der Aufgaben widmen, die man seit der Legalisierung der Sexarbeit von ihnen erwarten dürfte. Selten mittels Diskussion auf Augenhöhe und Austausch von Wissen, dann erfolgreich und gewinnbringend für alle Beteiligten, wie beim Runden Tisch in Nordrhein-Westfalen. Meistens unter Konservierung gewohnter innerer Haltungen, offenbar hoffend, das zu behandelnde Phänomen würde sich in Luft auflösen, bzw. jemand anderes möge zuständig sein. Oder mit einem uneingestandenen Ehrgeiz, Prostituierte zum „Verschwinden“ zu zwingen und gesellschaftliche Moralvorstellungen ins Althergebrachte zurückzuführen.
Man zeigte auf, welche Möglichkeiten der Einordnung der Sexarbeit ins Gewerberecht bestünden - und erklärte, warum diese von der jeweiligen Position her als unattraktiv bis schädlich, oder als nicht umsetzbar erscheinen. Wir erfuhren, dass wir gar kein Prostitutionsgesetz hätten, wäre es nicht so nackig, ohne Ausführungsbestimmungen, im Bundestag beschlossen worden: Bei näherer Ausgestaltung hätte 2002 auch der Bundesrat zustimmen müssen, und das wäre wegen der vielen „schwarzen“ Länder nicht geschehen.
Dass noch einiges an Weg vor uns liegt, bis Sexarbeit in der Gesellschaft angekommen ist und nicht im Schatten stattfindet, zeigte auch die abschließende Podiumsdiskussion. Ich bin nicht so pessimistisch, wie es manche der Anwesenden danach waren, und denke: Das wird!
Ich erinnere mich an eine Veranstaltung zum § 175 StGB selig Ende der 1980ger Jahre, an der ich teilgenommen habe. Die gesellschaftliche Sicht auf homosexuelle Menschen bewegte sich schon weitgehend in Richtung Akzeptanz, die rechtliche Lage bewegte sich seit Anfang der 70ger nicht mehr. Diskriminierung war amtlich: Lehrer und schwul = Entlassung aus dem Staatsdienst. Ein 20- und ein 17jähriger als Paar = Missbrauch Minderjähriger. Ohne Untersuchung der Umstände, des Verhaltens und des Willens der Beteiligten!
Damals auf dem Podium, wie letzten Mittwoch, Vertreter der Parteien. Nur der belachte Delegierte der DKP hatte ein klar formuliertes Aktionsprogramm mitgebracht - die Mutterpartei in der DDR hatte schon entsprechend verfügt. Ansonsten wand man sich um Aussagen herum. Josef Fischer, damals noch in Lederjacke und Turnschuh, wagte sich am weitesten vor, indem er darauf verwies, dass Die Grünen generell gegen Diskriminierung seien, und deswegen keine Gruppe besonders herausheben müssten. Von der CDU - war niemand gekommen.
Anders jetzt: Alle teilnehmenden Politikerinnen sind Mitglieder des Bundestags. Die Vertreterinnen der Grünen und der Linken, Ulle Schauws und Cornelia Möhring, formulierten die innerhalb ihrer Parteien abgestimmten Positionen, die einem Wunschkatalog des Kongresses recht nahe kamen, und zeigten auch persönliche Sympathie für die Anliegen der SexarbeiterInnen. Eva Högl, SPD, hatte die unangenehme Position, Regierungshandeln (bzw. Nicht-handeln) vertreten zu müssen, da die Umsetzung des Prostitutionsgesetzes derzeit als Eckpunktepapier beim SPD-geführten Ministerium für Familie und Gesundheit liegt - aber natürlich nur ein Kompromiss innerhalb der großen Koalition sein kann. Der CDU muss man Widerstand gegenüber dem Prostitutionsgesetz nicht unterstellen - dieser ist offenkundig. Aber er wird verhalten geübt, und einfach der Diskussion fernbleiben - das geht anscheinend nicht mehr! MdB Sylvia Pantel ließ keine Dauerwelle zittern. Selbst dann nicht, als Undine de Rivière sich entschloss, provokativ zu erläutern, was ein gang-bang ist, und dass sie gern einmal wieder an einer solchen Veranstaltung teilnähme. Diese Unerschütterlichkeit bringt wohl nur auf, wer seine Moral von „höherer Stelle“, und nicht aus dem eigenen Leben bezieht. Anders Frau Högl: Sie bekundete anfangs, wie wohl sie sich bei uns fühle - um zum Abschluss ihre Enttäuschung laut zu äußern. Es kam wie in jeder Polit-Veranstaltung zu einzelnen, sehr emotionalen Wortäußerungen - das muss es, wenn ein Teil des eigenen Lebensweges grundsätzlich in Frage gestellt wird - und ein unfairer Fast-Nazi-Vergleich wurde gezogen. Ich glaube Frau Högl, sie hat echte Nerven und zeigt sie. Politiker können sich in der Mediendemokratie öffentlich nur so weit äußern, wie laut blökende Schafsköpfe es erlauben, ob nun aus ihrer, einer andren oder aus keiner Partei. Ob wir wohl die „Homo-Ehe“ etc. pp. heute kennen würden, wenn die DDR uns die Streichung des § 175 nicht als Erbschaft hinterlassen hätte? Was damals in der Volkskammer, geschweige denn den Medien, nicht groß diskutiert wurde, sondern Parteiauftrag war? Ich bezweifle es! Die Regierung Kohl brauchte trotz eindeutiger Festschreibung im Vereinigungsvertrag fünf Jahre - nur für die Streichung . . .
Ein wesentlicher Teil dessen, was ich und andere vom Kongress mitnahmen, liegt auf der menschlichen Ebene und ergab sich in den Pausen und auf der Kongressparty. Auf dieser Ebene können wir alle etwas tun, um die Dinge zum besseren zu lenken - im persönlichen Umfeld Vorurteile abbauen, zum Kennenlernen und neu-Betrachten ermuntern. Einen Vertreter der VerDi-Jugend hörte ich sichtlich gerührt äußern, wie wertvoll ihm und seinen Genossen die vielen neuen Ansätze seien, die sie in der Begegnung mit euch gewonnen hätten:
Mit der Studentin, ungeschminkt und in funktionaler Kleidung, bestimmt auch die gute Tochter, als die sie erscheint - die ganz natürlich beantwortet, wie man die Kondomgröße eines Kunden erkennt.
Mit der Hausfrau, die beschließt, erotische Massagen anzubieten, nachdem die Kinder flügge sind und der Mann weg, und zuerst hört: „Oooch nee, Muddi, bist du irre?!“, aber jetzt kichert man nur noch . . .
Mit der auf der Sandbank „Überqualifizierung“ gestrandeten Akademikerin, die als Weg nur noch das sah, von dem sie heute sagt: Die Scheiße, die ich da erlebt habe, reicht bis an mein Lebensende. Und nach dem Ausstieg aus der Sexarbeit für Sexarbeit arbeitet, nicht dagegen.
Mit den Frauen, die sich ein outing nicht erlauben können, weil dadurch Beruf, Ehe, Freundschaften oder das Verhältnis zu ihren Kindern in Gefahr kommen würden.
Mit den Exoten der Szene: Trans-Frauen und einem männlichen Sexarbeiter mit weiblicher Kundschaft.
An euch alle auch von mir ein herzliches Danke!
und weiter so in Schwesterlichkeit . . .