Von Lady Hekate
Der Anruf kam aus heiterem Himmel: “Frau XY, hier ist Carsten Silcher (Name geändert) von der „Allgemeinen XYZ-Zeitung“....Ich habe da so einen merkwürdigen Brief bekommen – könnten Sie mich mal in der Lokalredaktion besuchen? Es ist 'ne ziemlich schmutzige Angelegenheit...“
Als ich nichtsahnend das Büro des Lokalchefs betrete, zeigt er mir mit einem undurchdringlichen Gesicht einen Ausdruck der von mir selbst erstellten Homepage, auf der ich seit einigen Monaten erotische Dienstleistungen anbiete: Ein frecher Text, einige freizügige Fotos – und meine Handynummer...
Daneben liegt ein anonymer Brief – vier Zeilen, triefend von Selbstgerechtigkeit und sabberndem Voyeurismus , mit denen jemand auf den Zusammenhang zwischen der einigermaßen bekannten Persönlichkeit Frau XY (das bin ich) – und eben dieser Homepage hinweist...
Dass der Lokalchef der besagten Zeitung sich schon im Vorfeld bei seinem Vorgesetzten rückversichert hatte und der Artikel in diesem Augenblick bereits fix und fertig geschrieben in der Schublade lag, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht....
Was tut jemand, der aus dem Hinterhalt attackiert und mit etwas konfrontiert wird, das er zwar gern tut, aber nicht unbedingt an die Große Glocke gehängt haben will? Er dementiert..
Also dementierte ich. Und machte damit alles nur noch schlimmer. Selbstverständlich ließ sich der Lokalchef diese pikante Geschichte nicht entgehen – sie wurde in mehreren Ausgaben ausführlichst diskutiert – mein bürgerlicher Name tauchte zwar nirgends auf, aber die Leute die mich kennen, konnten natürlich zwei und zwei zusammenzählen - und so ließen die Kollateralschäden nicht lange auf sich warten. Innerhalb weniger Wochen waren mein Mann und ich gesellschaftlich isoliert. (Böll lässt grüßen)
Der erste der auf Abstand ging, war der Spielleiter der Amateurtheatertruppe, in der ich seit gut einem Jahr erfolgreich mitgewirkt und einige sehr gut beurteilte Inszenierungen mitgetragen hatte. Zur ersten Probe nach Erscheinen des Zeitungsartikels erschien er total aufgeregt und mit den Worten er sei „stocksauer“. „Ich mache schließlich auch Kinder- und Jugendtheater. Was soll ich denn den Leuten sagen, wenn DIE mich fragen was denn diese Prostituierte im Ensemble zu suchen hat?“ Nach einigen unerfreulichen Diskussionen innerhalb der Truppe habe ich es vorgezogen, das Ensemble zu verlassen.
• Es folgte eine Unterredung mit dem Vorsitzenden der Regionalabteilung meines Journalistenverbandes, wo ich schon seit einigen Jahren als Beisitzerin im Vorstand saß. Er legte mir den Rücktritt nahe.
• Es folgte das freundliche Anschreiben der Leiterin der Kinder-und Jugendbibliothek , wo ich seit rund einem Jahr in unregelmäßigen Abständen den Kindern vorgelesen hatte. Sie müsse leider in Zukunft auf meine Dienste verzichten.
• Mit ein paar Monaten Verspätung kam dann noch der Vorstand eines Jungunternehmer-Verbandes, zu dessen Gründungsmitgliedern ich gehörte ,und teilte mir mit, dass ich aus dem Verein ausgeschlossen sei, da ich „dem Ansehen des Vereins schade“. Fünf ungenannt bleiben wollende Mitglieder hatten sich beschwert. Ich hätte damals eine Mitgliederversammlung erzwingen und die besagten Heuchler und Pharisäer dazu bringen können, sich zu outen. Ich habe davon abgesehen. Beim Presbyterium meiner Kirchengemeinde wo ich ebenfalls seit rund eineinhalb Jahren Mitglied war, habe ich selbst die Reißleine gezogen und meinen Rücktritt erklärt.
All diese ehrenamtlichen Tätigkeiten liefen parallel zu meiner Arbeit als Sexworkerin oder besser gesagt: als Hobbyhure. Und ich habe darin nie einen Widerspruch gesehen.
Ganz im Gegensatz zu meinem brav-bürgerlichen Umfeld. Aber wie hätte ich reagieren sollen, als mich der eifrige Lokalchef meiner Heimatzeitung mit den Früchten seiner Recherche konfrontierte? Sagen: „Ja lieber Kollege XY, das IST meine Homepage – und wie gefällt sie Ihnen? Haben SIE vielleicht nen Job für mich?“
Ich bin durch die Erwerbslosigkeit zur Sexarbeit gekommen – genauer gesagt durch Hartz IV – oder NOCH genauer: Durch die ersatzlose Streichung von Transferleistungen.... Natürlich hatte ich mich beworben, Weiterbildungen , Bewerbungstrainings und das gesamte Spektrum womit die Arbeitsamtsbürokratie Erwerbslose von 40plus beschäftigt brav mitgemacht. Hatte mich, wie es ja immer Erwerbslosen geraten wird, auf den unterschiedlichsten Feldern ehrenamtlich engagiert –. Genutzt hatte es nichts...ebenso wenig, wie der Versuch, mich als Kommunikationsberaterin selbständig zu machen. Und dann kam Hartz IV – und nach rund einem halben Jahr Bezug, wo wir uns so gut es eben gehen wollte durchlavierten, eine Mitteilung unseres zuständigen Jobcenters: die Leistungen nach SGB2 seien „vorübergehend ausgesetzt“ - wir seien „vermögend“ (damit war unser noch nicht abbezahltes Eigenheim gemeint...) Rund vier Wochen nach dieser Hiobsbotschaft bekam ich nach langem Suchen einen Arbeitsvertrag: Callcenter in der benachbarten Großstadt. Teilzeit, 80 Stunden im Monat, 7,50/Stunde. Kein Traumjob aber besser als nichts . Das Problem war : die Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr kostete 70€ - und die hatte ich nicht. Mein Antrag auf Mobilitätsbeihilfe wurde abgelehnt – ich war ja bei der Agentur für Arbeit ausgesteuert. Und die Fallmanagerin beim Jobcenter sprach die goldenen Worte:“Pumpen Sie doch Ihren Arbeitgeber an“: (damit wäre einem vertrauensvollen Arbeitsverhältnis Tür und Tor geöffnet worden...)
Dann bekam ich ein unmoralisches Angebot – und griff zu. Das Problem mit den Fahrtkosten war gelöst - und einige andere Probleme desgleichen. Seitdem fahre ich zweigleisig. Wenn ich es nicht täte, müsste ich aufstocken. Soweit die Geschichte meines Outings und wie ich zu der wurde, die ich bin.
Was ich daraus „gelernt“ habe? Dass einem nach manchen Erfahrungen nur wenige Menschen bleiben, die man als Freunde bezeichnen kann – aber auf DIE ist dann auch Verlass. Und ich bin ein bisschen dünnhäutiger geworden. Vielleicht auch misstrauischer wenn jemand mit dem ich gut zurecht gekommen bin, von heute auf morgen auf Distanz geht. Ich bin hellhöriger geworden für die Doppelbödigkeit und Doppelzüngigkeit der Gesellschaft in der ich lebe. Und richtig zornig werden kann ich über die Verbohrtheit und Selbstgerechtigkeit der „guten Bürger“ - von denen übrigens manche kräftig am Erotik - Gewerbe mitverdienen: sei es als Vermieter, die Wuchermieten kassieren, sei es als Herausgeber von Tageszeitungen,die für Kontaktanzeigen total überhöhte Preise nehmen oder sei es als die Hintermänner und Nutznießer von Großbordellen. Aber das ist natürlich eine ganz andere Geschichte....
Ich bin keine Großverdienerin –was die Auftragslage angeht, so gibt es bei mir wie bei anderen Freiberuflern auch Berge, Täler und Tiefebenen.Wenn es gut läuft, kommt ein dreistelliger Betrag dabei heraus, der uns in bescheidenem Maße das ermöglicht, was man „gesellschaftliche Teilhabe“ nennt. Also :
• ab und zu ins Kino oder ins Café, ohne gleich mit spitzem Bleistift nachrechnen zu müssen, wo ich diese Kosten auffangen kann.
• Einkaufen auf dem Wochenmarkt statt beim Discounter.
• Friseur, Schuh- und Fahrrad – Reparaturen. Reinigung...
• mal ein paar Tage wegfahren oder bei besonderen Anlässen Essen gehen.
• Bücher, Volkshochschulseminare und ab und zu eine Theaterkarte.
• Eben die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen, die man sich aber weder als Hartz IV – Empfänger, noch als Billiglöhner leisten kann...
Niemand kann mir einen Vorwurf machen. : Ich liege nicht „der Allgemeinheit auf der Tasche“, sondern habe das getan, was uns von den Verfechtern des Neoliberalismus tagein-tagaus um die Ohren geschlagen wird:
Ich habe mich „an die eigene Nase gefasst“, habe festgestellt, dass es für das, was ich anzubieten habe, einen Bedarf gibt und habe mir meinen Arbeitsplatz selbst geschaffen. Ja – ich verdiene einen Teil meines Lebensunterhaltes mit Sexarbeit – und ich bin froh, dass ich mit 50plus diese Möglichkeit für mich entdeckt habe.
Ich bin froh, dass ich das Talent habe, Männer zum Träumen zu bringen, sie zu verwöhnen, ihre Sorgen anzuhören, die blauen Flecken auf der Seele wegzustreicheln und die Blessuren eines immer unmenschlicher werdenden Arbeitsalltags, in dem der einzelne Mensch immer mehr zu einem leicht zu ersetzenden Gebrauchsartikel wird , zumindest zeitweise vergessen zu lassen.
Mein Gäste danken es mir mit Vertrauen und Respekt. Wenn ich daran denke, wie die Kommunikation zwischen mir und meinen Gästen vonstatten geht – und wie ich beim Jobcenter behandelt wurde – dann hat sich meine Situation zumindest in diesem Punkt entschieden verbessert. Ich gehe so weit zu behaupten, dass ich durch meine Gäste und den freundlichen, respektvollen Umgang den wir mit einander pflegen, einen Gutteil des Selbstbewusstseins zurückgewonnen habe, der mir im Jobcenter schon abhanden gekommen war.
Aber EINEN Schönheitsfehler hat die ganze Sache doch: ich bin keine „typische Hure“ - jedenfalls nicht in den den Augen von Alice Schwarzer. Sie charakterisiert mich und meinesgleichen in einem Interview in der „Welt“ folgendermaßen:
„Sie (d.i.die Huren deutscher Herkunft - im Gegensatz zu den Migrantinnen) sind entweder in das Milieu hineingeboren worden. Oder sie haben schon als Kind lernen müssen, gefügig zu sein, sich mit Sex Zuneigung zu erkaufen, sind also Opfer von Missbrauch. Irgendwann stellen sie dann fest, dass es dafür sogar Geld gibt und ein bisschen Macht. Aber die verfliegt schnell. Was bleibt ist: Drei von vier Prostituierten sind abhängig von Drogen und Alkohol, zwei von drei werden im Job vergewaltigt, zwei von drei leiden unter posttraumatischen Störungen.“
Die Frau muss es wissen....
Und ich lese das und fange an zu grübeln: ich bin kein Junkie – und ich bin keine Alkoholikerin – heißt das, dass ich ungeeignet bin für meinen Job als Hobbyhure?
Immerhin: posttraumatischen Störungen habe ich – dafür hat die Hartz IV - Behörde gesorgt – und zwar so gründlich, dass ich lieber auf den Straßenstrich gehen würde als mich noch einmal in die Klauen dieser Institution zu begeben.
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Der Text wurde bereits in der Wochenzeitung Die Zeit in überarbeiter Form online veröffentlicht http://www.zeit.de/gesellschaft/2013-11/prostitution-debatte-erfahrung mit Kommentarteil! Lady Hekate hat uns den Originaltext zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank!