Prostitution. Viele wähnen - während die meisten, die sie kennen, schweigen. Diese Bresche wird genutzt.
Vergangenen Samstag hatte ich ein beispielhaftes Gespräch am Tresen. Von einem Bekannten (nennen wir ihn mal Karl-Hinrich) wollte ich wissen, was seine Meinung zu Prostitution ist? Karl-Hinrich sagte, das sei schon ein Übel. Er verstehe nicht, wie das in unserer aufgeklärten Gesellschaft noch existieren könne. Was ein Mann von dieser Art Sex, von Zuneigung haben solle, die ihm kurz und ohne Anteilnahme, des Geldes wegen vorgetäuscht werde? Oder zu dem die Frauen von Dritten gezwungen sind. Aber auch ohne Zwang sei Prostitution für ihn im Ansatz schon kriminell, weil Betrug sei es irgendwie immer: Am Kunden. Man sollte da mal gegen angehen, in Skandinavien mache man ja vor, wie.
Ich war verblüfft. Das hatte ich nicht erwartet. Eher, dass wir uns austauschen könnten, wie wir uns in der Stellung als Kunde fühlen. Meine Meinung war vor zwanzig Jahren wohl ungefähr die gleiche, Karl-Hinrich hat mir ca. dies an Alter voraus. Wir hatten uns schon mehrfach über Sexualität unterhalten, über Vorurteile und Repression gegen sie, und die „sexuelle Revolution“ der 1960ger / 70ger, die er aktiv miterlebt hat. Die Haltung zu Prostitution, die ich vorfand, passt nicht zu einem weltgewandten, politisch und kulturell interessierten ehemaligen Anwalt mit mehr als links-liberaler Einstellung. Wie kommt das?
„Karl-Hinrich, kennst Du welche persönlich?“ „Was - Nutten?“ „Genau!“ „Nein.“
Denkt er! dachte ich im Stillen, und sagte: „Ich schon, und so ist das überwiegend nicht, zumindest nicht heute!“ Karl-Hinrichs ganze Erfahrung mit Prostitution beschränkte sich auf flüchtige Beobachtungen, sein Wissen basierte nur auf dem, was er zu sehen gelernt hat. Wo er wohne, sei ein „Massagesalon“ gegenüber, und was er da sehen könne, sei schon erbärmlich. Menschliche und sexuelle Misere.
Vielleicht hat er in diesem Fall Recht: Dass viele unserer Mitmenschen in irgendeiner sexuellen Misere leben, ist unbestreitbar. Und dass von diesen Miseren einiges abgeladen wird bei Menschen, die in der Prostitution tätig sind, ist sattsam bekannt. Prostituierte sprechen oft davon, und das glaubt man ihnen gern! Weniger glaubt man ihnen, wenn sie von Anderem sprechen. Womit ich zum eigentlichen Thema kommen will.
Breite Unkenntnis über Prostitution und Überwiegen von Vorurteilen, überholten Bildern von ihr sind zu entschuldigen, wenn jemand sich diesem gesellschaftlichen Bereich nie genähert hat. Wir kennen zwar jeder die eine oder andere Prostituierte, Kunden von Prostituierten gleich reihenweise, doch wissen wir es nicht. Man spricht nicht drüber, oder wenn, dann sehr vorsichtig.
Sobald sich ein Mensch aber mit dem Thema bewusst befasst hat und noch in einer scherenschnittartigen Darstellung verharrt, kann man von einem Urteil nicht mehr absehen. Angesichts dessen, was inzwischen an Informationen öffentlich frei zugänglich ist, an authentischen (ja, auch unerfreulichen!) Lebensberichten vorliegt: So ein Mensch ist entweder zu bedauern, oder ihre/seine Haltung ist Absicht. Böswillige.
Das lässt sich demonstrieren, ein Beispiel:
Unter der Überschrift Prostitution: Droht Huren-Verband Politikern? liest man in EMMA.online vom 5.September 2014:
(Link zu diesem und den übrigen Texten ganz unten)
Die Sprecherin des "Berufsverbandes" der "Sexarbeiter_innen", Johanna Weber, hat am 4. September in der Huffington Post einen Offenen Brief veröffentlicht mit dem Titel: Aufschrei einer Prostituierten: An die Politiker, die meinen Job zerstören. Sie habe, schreibt sie, "sehr tiefe Einblicke in den Arbeitsalltag der Bundespolitiker bekommen". Und wenig später fährt sie fort: "Ja, und dann kommt das spannende, aber für die Politik unbequeme Thema Prostitution aufs Tablett. Unbequem, weil die Medien das Thema unberechenbar ausschlachten, denn Sex sells. Unbequem deshalb, weil hier die Doppelmoral regiert. Kaum ein Mann traut sich zu sagen, dass er sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt."
Was will Weber, die Frontfrau der LobbyistInnen der Prostitutionsbranche, damit sagen? Soll hier etwa gewissen Politikern gedroht werden? Politikern, die sich nicht trauen zu sagen, dass sie "sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen"? Politiker, die darum tun müssen, was die Prostitutionsbranche will - wenn sie nicht auf Seite 1 der "unberechenbaren Medien" landen wollen?
Ja - was will Johanna Weber damit nur sagen??? Nachlesen hilft! Da, wo EMMA die Lücke gelassen hat, steht:
Ich sehe, unter welchen Zwängen Politiker tagtäglich arbeiten. Selbst wenn sie wollten, können sie nicht wirklich die sinnvollste Lösung anstreben, sondern müssen immer taktieren mit dem Koalitionspartner, den Lobbyisten, den verschiedenen Schichten von Parteigenossen... und am Ende geht es gar nicht mehr um die eigentliche Sache.
Und die Wähler dürfen dabei auch nicht aus den Augen verloren werden. Diese sind ist ja heutzutage keine Traditionswähler mehr, sondern machen gerne Mal aus dem Bauch heraus Protestkreuze auf dem Stimmzettel - wenn dies auch die einzige Form des Aktivismus ist. Und die Wähler interessiert ja am meisten alles andere als ihr eigener bewusst gewählter, langweiliger Alltag.
Und da, wo EMMA aufhört zu zitieren, sagt Weber weiter:
Uns als Berufsverband wurde der dringende Rat gegeben, dass wir uns mit unseren Anliegen an die Frauen in der Politik wenden sollten, denn die Herren müssten sich ja sonst des Bildes erwehren, sie würden sich ja nur für „Huren" einsetzen, weil sie selber dort hin gehen...
Und schon löst sich der aufgebauschte Trug in Luft auf.
EMMA, Du hast den Weber-Text verlinkt, das machte es mir leichter - danke dafür!
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Agitation mit bekanntem Absender und offen gezeigten Absichten (weiße Propaganda) ist ein übliches Mittel in Politik und Gesellschaft. Wenn mein Text darunter eingeordnet würde, ich wäre nicht beleidigt. Schwarze Propaganda hingegen segelt unter falscher Flagge und ist durch und durch manipulativ. Geheimdienste und Diktaturen arbeiten gern mit solchen Mitteln. Im zwischenmenschlichen Umgang wie in der demokratischen Diskussion ist schwarze Propaganda deutlich jenseits dessen, was moralisch annehmbar ist.
Seit zwei Wochen zirkuliert ein „offener Brief einer ehemaligen Prostituierten an die Prostitutionslobby“ als „wütende Antwort“ auf die altgediente Berliner Sexarbeiterin Stefanie Klee, verfasst von „Huschke Mau“.
Der Name ist leicht als Pseudonym erkennbar (Huschke = sorbisch für Hänsel), was vollkommen o.k. geht. Unsere Nicks stehen auch nicht auf der Klingel! Der Inhalt des Textes ist nicht grundsätzlich falsch. Viele Behauptungen decken sich zwar kaum mit dem, was ich aus erster oder zweiter Hand über Prostitution erfahren und gelernt habe, aber: Genauso wie „Huschke Mau“ einräumt, es könne die „glückliche Hure“ als Ausnahmeerscheinung geben, will ich nicht ausschließen, dass es das andere Extrem auch gibt:
Mit 18 habe ich angefangen, nachdem ich 17 Jahre lang von meinem Stiefvater verprügelt und sexuell missbraucht worden und von zuhause abgehauen bin. Ich dachte, ich kann nur das, ich bin nur zum Ficken gut.
Huschke Mau ging zehn Jahre durch ein Panoptikum der Schrecken, eine ununterbrochene Folge von Benutzungen und Selbstmissachtung, und sie führt die Leser nach freundlicher Ansprache und Einladung zum „Du“ auf fünf Druckseiten durch diese von heimlichen Dämonen und ihren Opfern bevölkerte Welt, die vor unseren Blicken verborgen wird durch die herrschende Doppelmoral. Zusätzlich geschützt durch das Lügengebäude der ProstitutionsbefürworterInnen, die den Umstand nutzten, dass die meisten Prostituierten zu traumatisiert sind, um zu sprechen. Wie Huschke:
Ja, auch mir fällt es sauschwer darüber zu sprechen weil es TRIGGERT
Dass dies dann doch sehr gut gelang, ist eine der Auffälligkeiten im Text, der Widersprüche von Inhalt und Form. Auch heute ist Huschke ihrer Schilderung nach noch Opfer der Sklavinnenhaltergesellschaft, begegnete erst neulich Triggern gleich im Bündel, auf dem Weg zur Traumatherapie. Sie berichtet uns nichts, was auf ein individuelles und selbstbestimmtes Leben hinweist, dass sie zumindest danach hätte beginnen können. Wenn man den Text ernst nimmt, muss es ihr aber gelungen sein, die Fesseln ihrer Biographie wesentlich zu lockern: Huschke schafft es, uns mit Passagen zu triggern, die in ihrer Ausführlichkeit Angst und Abscheu erregen, es auch sollen. Ihr Mitteilungsbedürfnis würde für mehrere Personen reichen. Sie verwendet gekonnt Vokabeln aus dem sozialtherapeutischen Fachsprech.
Alles in allem lässt mich behaupten, dass „Huschke Mau“ kein Mensch ist, sondern eine Erfindung. Ein Avatar, gesteuert von einer prostitutionsfremden, extremistischen Kleingruppe. Eine femen-Zelle, möglicherweise?
Ich verspreche feierlich! in diesem Magazin zu widerrufen, wenn mir Irrtum, also die physische Existenz von „Huschke Mau“ nachgewiesen wird.
Huschke, wenn Du das hier lesen kannst, habe ich Dich mit Klarnamen und Tel.-Nr. angeschrieben. Wenn Du unsicher bist - lasse Dich zum Treff von so vielen kampferprobten Schwestern begleiten wie Du magst! Ich werde nur eine Escort mitbringen (zu meiner Absicherung), und keinen Fotoapparat.
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Was bringt manche Menschen dazu, derartige Mittel einzusetzen? Auf der individuellen, persönlichen Ebene werde ich nie nachvollziehen können, wofür Glaubenssysteme bis aufs Blut und mit jeder denkbaren Verdrehung von Tatsachen verteidigt werden. Mag sein, es macht den Betreffenden Spaß, sie empfinden Machtgefühl, aber solch Spekulation hilft hier nicht.
Ich denke, unsere Gegner vereint ein gemeinsames Menschenbild, das nicht das meine ist. Originär das christliche: Die unsterbliche Seele im vergänglichen, sündigen Körper, der dennoch der Tempel des Herrn ist. Wodurch Sexualität eine Sonderstellung erhält gegenüber allen anderen Lebensbereichen: Die der Heiligkeit, damit auch Entweihbarkeit.
Ich fühle anders. Ich erlebe mich aus Fleisch, Blut und Hirn, lebendig. Ich bin mein, die anderen gehören sich selbst, und auch ihr Körper hat sich keiner höheren Macht unterzuordnen.
Anhänger von Glaubenssystemen, auch das kann man guten Gewissens behaupten, eint noch, dass ihre soziale Traumvorstellung eine Form der Totalen Gesellschaft ist. Alle Widersprüche, verschiedenen Interessenlagen, Rauheiten sind aufgehoben in der Gemeinschaft der Gläubigen, dem Kollektiv, der Volksgemeinschaft. Wer in seiner Individualität die festgesetzten Grenzen überschreitet, wird ausgeschlossen. Nicht einzeln benennbare Handlungen, sondern gleich das Dasein wird in Frage gestellt.
Der Brief von „Huschke Mau“ an Stefanie Klee endet konsequenterweise nicht so gesprächsfreudig wie er beginnt, sondern OHNE GRUSS. Tür zu. Dass sie vorher offen gestanden hätte, war Täuschung. Empathie ist hier nicht zu erwarten. Aus der „gefallenen Frau“ wird für solch wohlmeinende Mitbürger unter Garantie eine Hexe, wenn sie sich erfrecht, in der sorgenden Umarmung munter zu bleiben.
Wer im Netz die Reaktionen auf den Mau-Text liest, wird dem Geist der Inquisition begegnen. Von „Pest“ und „ausrotten“ ist fast sofort die Rede. Vom Herrgott und dem Satan ebenso. Insofern sollten wir dergleichen Propaganda ernst nehmen.
Wir sollten derlei aber auch nicht ernster nehmen als nötig. Wenn die meisten Mitmenschen eine Escort, einen Kunden persönlich kennen und achten, dann ist´s gewonnen! Also, meine Bitte an jede und jeden, der es sich erlauben kann: Raus aus den Verstecken, wenn sich im persönlichen Umfeld eine Möglichkeit bietet, gegen solche Ansichten eine geistige Schutzimpfung zu verabreichen!
Am Rande der Gesellschaft bekommt die Homophobie dann bald eine würdige Schwester: Die Hurophobie.
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Emma: Prostitution - Droht Huren-Verband Politikern?
http://www.emma.de/artikel/prostitution-droht-huren-verband-politikern-317699 Johanna Weber: Aufschrei einer Prostituierten An die Politiker, die meinen Job zerstören
http://www.huffingtonpost.de/johanna-weber/aufschrei-einer-prostituierten-an-die-politiker-die-meinen-job-zerstoren_b_5763652.html Huschke Mau: Über das Schweigen.
http://www.feministischepartei.de/fileadmin/datensammlung/dokumente/Pressererklaerungen/2014_PE/2014_11_22_Offener_Brief_ehemalige_Prostitutierte.pdf