Der neue Dokumentarfilm von Max-Ophüls-Preisträger Sobo Swobodnik heisst SEXARBEITERIN und ist gerade in den deutschen Kinos gestartet. Vom 29.02 bis 11.03 sind Protagonistin Lena Morgenroth und Regisseur Sobo Swobodnik mit dem Film auf Deutschlandtour. So wurde der Film auch letzte Woche in Hamburg beim Sexarbeits-Kongress gezeigt, wo auch ich teilnahm. Der Film wurde übrigens teilweise über Crowdfunding finanziert, bei dem die Filmcrew selbst sexuelle Dienstleistungen angeboten hat.

 

Die Doku ist ein Porträt der Sexarbeiterin Lena Morgenroth, die Lust hat, „mit sexueller Arbeit Geld zu verdienen“. Ein schöner stimmungsvoller, harmonischer Film, durchgängig in schwarz-weiss gedreht. Er ist nicht spektakulär, geht nicht unter die Haut, es gibt keinen Spannungsbogen, aber die Musik ist cool.

 

Zum Service von Lena gehören Tantra Massagen, erotische Massagen, SM und Bondage Sessions sowie sanfte Fesselspiele. Sie entscheidet von Zeit zu Zeit neu, welchen Service sie gerade anbieten möchte. Im Moment bietet sie keinen Geschlechtsverkehr an.

 

Es gibt einige sexy Momente im Film: die Orgasmus-Szene gleich am Anfang oder wenn sie den Finger eines Kunden lutscht. Auch sieht man sie aktiv bei einer Analmassage an ihrem Kunden und wie sie mit ihren Füssen über Po und Rücken streicht. Schön anzusehen ist auch eine gemeinsame Bondage Session mit der „tantrischen Domina“ Kristina Marlen. Ja, das gibt es. Die Welt im Paysex ist bunt und besteht nicht nur aus Gerammel.

 

Der Film bricht mit gängigen Klischees, was ihm auch von Kritikern vorgeworfen wird. Aber warum soll dieser Film auch Opfer und soziale Missstände zeigen? Davon gibts doch mehr als genug Medienberichte. Der Film stellt eine ganz normale junge Frau und ihren Alltag ins Zentrum; man sieht sie beim Stricken, in der Bahn, beim Zähne putzen, unter der Dusche, bei der Buchhaltung, an der Kletterwand, im Hörsaal, mit Bohrmaschine in der Hand. Da musste ich sehr schmunzeln. Eben eine selbstbewusste und gebildete deutsche Frau. Keine Ausbeutung, keine Zuhälter nirgends. So kann Sexarbeit nämlich auch funktionieren. Über diese Normalität wird üblicherweise kaum berichtet.

 

Viele Frauen inszenieren sich in ihren Werbefotos „als Objekte“, so Lena, und stellen Brüste und Po heraus; sie persönlich mag das nicht bei sich selbst, deshalb sehen ihre Bilder anders aus, eher wie ästhetische Aktbilder würde ich sagen. Ja, man kann diesen Porno-Trash auch nicht mehr sehen. Auch die entsprechende Werbesprache von der „begehbaren Dreiloch-Nutte“ ist kaum zum aushalten. Es ist doch super, wenn man sich ohne über die Porno-Schiene zu gehen vermarkten kann und ohne Ficki Ficki Kunden findet und Geld verdient. Erotische Massagen sind sehr beliebt und weit verbreitet, viele Kunden begnügen sich mit einer Handentspannung als Abschluss sinnlicher Freuden. Merke: mit Massagen kann man genauso viel verdienen wie mit Französisch und Geschlechtsverkehr.

 

Zum Alltag gehören natürlich auch Kundengespräche und Terminvereinbarungen. Auch eine Kundin wird gezeigt - sogar mit Gesicht -, die sich eine Intimmassage wünscht. Nur die Männer bleiben anonym.

 

Lustig ist, wenn Lena die Namen von Kunden in ihrem Handy-Verzeichnis laut vorliest, dies kommt sicher vielen Frauen bekannt vor; vom gleichen Namen gibt es mehrere. Die bekommen dann eine Zahl hintenan gestellt, um sie zu unterscheiden sowie einige Merkmale: Christian1, Christian2; Klaus2 mag alles ausser Schmerzen. Vorsicht: spritzt weit, Gesicht in Sicherheit bringen. Lena macht sich Notizen zu jedem ihrer Kunden und seinen Vorlieben. Das ist durchaus sinnvoll. So weiss man beim nächsten Date, welche Wünsche der Kunde hat und man kann sich ohne lange Rückfragen auf ihn einstellen.

 

Auch eine Blacklist hat sie, wo alle Kunden mit einem Z markiert sind, deren Anrufe sie nicht mehr entgegen nimmt. Man kennt das: dort kommen alle Fakes, Timewaster, die nur quatschen, aber nicht buchen wollen drauf oder unangenehme Typen, mit denen man anderweitig negative Erfahrungen gemacht hat. Dies dient allein der Seelenhygiene und dem Schutz vor Psychopathen.

 

Lena mag den Begriff Prostituierte nicht, Sexarbeiterin möchte sie genannt werden, da der Begriff Sexarbeit auch Dominas und sämtliche sexuelle Dienstleistungen umfasst, die z.B. keinen Geschlechtsverkehr beinhalten. So gehören Tantra Massage oder erotische Tänze/Strippen ebenfalls dazu. Der Begriff ist ja ein Oberbegriff für sämtliche erotische und sexuelle Dienstleistungen, um über die verschieden Paysex-Sparten hinaus Solidarität zu stiften und gemeinsame Interessen zu organisieren. Er wurde von einer erfahrenen Sexarbeiterin aus den USA in den 70er Jahren selbst hervorgebracht, Carol Leigh heisst die Dame, und leitete gewissermassen die Geburtsstunde der internationalen Bewegung der SexarbeiterInnen ein. Der Begriff Prostitution dagegen ist häufig mit negativen Assoziationen verbunden; mit sozialer Abweichung, mit Kriminalisierung, Passivität. Bei Sexarbeit ist das Gegenteil der Fall: Selbstbehauptung und der Kampf um Entkriminalisierung stehen im Vordergrund. Soviel zum Hintergrund des Begriffs, der häufig Naserümpfen hervorruft.

 

Lena hat sich übrigens gegenüber ihrer Familie geoutet; für ihre Mutter war es zunächst nicht einfach damit umzugehen, aber sie hat sich dran gewöhnt. Und wie eine Freundin im Film kommentiert: „… mit den Massagen, da fühlt man sich nicht ganz so dreckig“. Wobei ich Vögeln und Oralsex nicht als dreckig einstufen würde. Aber man weiss wohl, was gemeint ist. Massagen sind nicht so „anrüchig“ wie Geschlechtsverkehr.

 

Deshalb werfen Kritiker dem Film auch vor, dass er die Schattenseiten des Erotik-Biz ausblendet und keine geschändeten Zwangsprostituierten zeigt oder Frauen, die nicht selbständig ihren Service bestimmen können. Aber die sind ja streng genommen auch keine Sexarbeiterinnen, die sich ja dadurch auszeichnen, dass sie ihren Job selbstbestimmt ausüben. Daher ist auch der Vorwurf Quatsch, dass Lena nicht „die Prostitution“ repräsentiert. Kann und will sie ja garnicht. Sie spricht erst mal für sich selbst und das ist völlig ausreichend.

 

Lena engagiert sich auch politisch und ist Mitglied im Berufsverband BesD, man sieht sie beim Sexarbeit-Kongress in Berlin vor zwei Jahren und wie sie bei einer Podiumsdiskussion spricht. Sie berichtet von einer Veranstaltung in Berlin vor einigen Jahren, einer Buchvorstellung von Alice Schwarzer und Prostitutionsgegnern, die sie und andere Aktivisten gestört haben. Den SexarbeiterInnen wurden das Wort entzogen und sie wurden von der Polizei abgeführt. So ist das nämlich, wenn man sich engagiert. Die selbstbestimmten Stimmen sollen zum Schweigen verdonnert werden.

 

Gefragt, was den Unterschied von Sex mit Kunden und privat ausmacht, antwortet sie: Sex mit Kunden ist serviceorientiert, fokussiert. Eben professionell. Beim Sex mit einem Partner stehen eigene Wünsche im Vordergrund. Und überhaupt würde sie sich gesellschaftlich einen anderen Umgang mit Sexualität wünschen. Überraschend sei doch, so Lena, dass die SexarbeiterInnen bei ihren Kunden die Situation kontrollieren und die Grenzen festlegen; anders als man sich das in einer patriarchalen Gesellschaft so vorstellt. Das mag vielleicht ihre Anschauung sein. In der Praxis vieler Frauen sind Grenzüberschreitungen doch ziemlich verbreitet; das beginnt alleine schon mit der teils primitiven Ansprache und der häufigen Nachfrage nach AO-Sex. Das ist sowas von Psycho.

 

Es mag sein, dass dieser Film die heile Welt einer Sexarbeiterin thematisiert, aber so ist das Leben von Lena Morgenroth nun einmal. Und das ist allemal besser als die ständigen Filme, Fotos und Dokus über Elendsprostitution, Strassen- und Drogenstrich, die den medialen Diskurs bestimmen. Solche Stimmen wie von Lena sind leider selten und müssen gehört werden!

 

Hier findest Du alle bundesweiten Kinotermine  

 

 

 

Written by Susi


1 comment

Anonymous

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[…] Für diejenigen, die sich selbst einen Eindruck er-lesen wollen: Unter all den Rezensionen und Filmtipps mochte ich die der Filmlöwin und des Filmmagazins Artechock am liebsten. Da haben Menschen aufmerksam zugesehen und auch mal nicht ganz so offensichtliche Aspekte, sei es im Inhalt oder im Filmischen bemerkt. Am meisten bedeutet haben mir allerdings die Reaktionen derjenigen, die sich wirklich in der Branche auskennen, also der Kolleginnen zum Beispiel bei Voice4Sexworkers oder im Ananda-Blog. Oder auch der Artikel im Magazin von kaufmich.com. […]

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