Hintergrund der Umfrage war die aktuelle Diskussion um neue gesetzliche Regelungen in der Prostitution, die u.a. eine Erlaubnispflicht für Bordelle, eine Zwangsregistrierung (Meldepflicht) für Sexarbeiter_innen umfasst, die Bestrafung von Kunden Zwangsprostituierter sowie Kondompflicht und die Wiedereinführung von verpflichtenden Gesundheitskontrollen. Daher möchten wir etwas Hintergrundmaterial liefern, was es mit Pflichtuntersuchungen auf sich hat.
Ältere unter uns kennen noch den sog. 'Bockschein', also der Nachweis über medizinische Pflichtuntersuchungen für Prostituierte, der 2001 abgeschafft wurde. Aus dem Grund, da man einsah, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nicht nur ein Menschenrecht ist, sondern Zwangsuntersuchungen menschenrechtswidrig sind und üblicherweise keinerlei Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage von ungeschützten Sex hat und nur zur weiteren Kriminalisierung dieser Berufsgruppe beiträgt. Allein Einsicht, Aufklärung und Information über gesundheitliche Risiken und die Bereitstellung anonymer Möglichkeiten der medizinischen Untersuchung, wie sie in Grossstädten von Gesundheitsämtern angeboten werden, so die Auffassung, trägt zu einem bewussten Sexualverhalten in der Gesellschaft bei.
Medizinische Pflichtuntersuchungen sind also menschenrechtswidrig, es muss allerdings eine Infrastruktur und Informationsmaterial vorhanden sein, die Untersuchungen jederzeit möglich macht und vor allem bedeutet das Professionalisierung. Prostitution untersteht seit Abschaffung des sog. “Bockscheins” 2001 dem Infektionsschutzgesetz, das auf freiwillig wahrzunehmende Hilfsangebote setzt, da man aus der Vergangenheit gelernt hat.
Aus der Forschung zu STI/HIV-Prävention geht international hervor, dass der Zugang zu Gesundheitsdiensten vorhanden sein muss und freiwillig genutzt wirksamer sind als die Einschränkung dazu. Erfolgversprechend sind erfahrungsbasierte und durch wissenschaftliche Erkenntnisse geförderte Community Arbeit, Peer2Peer Beratung (Sexarbeiter beraten andere Sexarbeiter), internationale Best Practice Projekte, wo Sexarbeiter_innen als Experten in die Szene hineinwirken.
Repressive Massnahmen zeigen nur eins: kein Vertrauen und kein Zugang mehr in soziale und gesundheitliche Dienste und damit höhere Ansteckungsrisiken. Dort, wo Menschen diskriminiert und ausgegrenzt werden hat Gesundheitsförderung keinen Zugang mehr. Dies belegen auch 30 Jahre Erfahrungen im Umgang mit HIV/Aids, die zeigen, dass sich die Situation für die Betroffenen nur bessert, wenn sie nicht diskriminiert werden.
Das deutsche Infektionsschutzgesetz verpflichtet Gesundheitsämter schon jetzt, Untersuchungen für Sexarbeiterinnen anzubieten. Dieses Angebot wird auch angenommen. Es ist also möglich, Menschen auf freiwilliger Basis zu erreichen. Mit guten Angeboten können auch Leute erreicht werden, die bislang keinen Versicherungsschutz haben. Dieser Ansatz hat dazu geführt, dass Deutschland europaweit eines der Länder mit den niedrigsten HIV-Infektionszahlen ist.
Die Frage ist also, ob der erneute Ruf nach Zwangsuntersuchungen, nichts anderes ist, als Gesundheitsschutz und Scheinsicherheit vorzugaukeln. Es würde eine zusätzliche Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen als Krankheitsüberträger_innen bedeuten und die Kunden aus ihrer Verantwortung entlassen. Regelmässige Gesundheitschecks sind für professionelle Sexarbeiterinnen schon jetzt selbstverständlich und dürfen nicht verpflichtend sein.
Die bundesweite Einführung einer Kondompflicht in Prostitutionsstätten nach Vorbild der bayerischen Hygieneverordnung, die generell Sex ohne Kondome in der Prostitution verbietet, wird derzeit ebenfalls diskutiert. Laut meiner Kenntnisse ist die Nachfrage nach ungeschütztem Sex in Bayern konstant gleich hoch geblieben, trotz Verordnung. Aus Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts ist nicht erkennbar, inwieweit sich die Kondomverordnung auf ein geändertes Sexualverhalten in der Prostitution ausgewirkt hat, es lässt sich kein Effekt ableiten und keine empirisch belegbare Aussage finden, wonach die Verordnung zu einer Verringerung bzw. Erhöhung von sexuell übertragenen Krankheiten geführt hätte.
Professionelle SexarbeiterInnen schätzen den Wert ihrer Gesundheit und gehören zu den achtsamsten Frauen in der Bevölkerung, eben weil ihre Gesundheit ihr Kapital ist und sie sich gar keine Erkrankungen leisten können. In doppelter Hinsicht.
Eine Kondompflicht ist nicht nur ein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung. Sie öffnet Tür und Tor für falsche Anschuldigungen in der anonymen Internetwelt, was ein Escort nicht nur ihre Reputation kosten kann, sondern in diesem Fall Ermittlungen wegen strafbarer Handlungen auslösen könnte. Denunziation, auch durch Lügen, ist leider im Internet jetzt schon anzutreffen, teils von der Konkurrenz motiviert, um eine Mitbewerberin auszuschalten. Da die Kontrollbehörden nicht nur Bordelle und Wohnungen, auch sämtliche einschlägigen Internet-Portale, also virtuelle Anbahnungsstätten wie Kaufmich im Visier haben, wo Sexarbeiter Werbung schalten, würde dies Wasser auf die Mühlen einer anonymen Denunziantenkultur spülen und zu Spannungen führen, d.h. zu Falschaussagen und Anprangerung unsafer Praktiken bei Escorts. Ihre Verhandlungsposition und Rechte im Netz, auch dagegen vorzugehen, noch weiter geschwächt.
Kondompflicht ist also als Erziehungsmassnahme zur Pflege der “Volksgesundheit” überflüssig und eine Scheinmassnahme, um Aktivismus und Scheinsicherheit vorzutäuschen. Dies geht auch aus der gut begründeten Erklärung gegen die Kondompflicht in der Evalution des Prostitutionsgesetzes hervor. Idealerweise kann nur mit Information, Selbstverantwortung, Aufklärungsarbeit argumentiert werden und vor allem muss der Zugang zu gesundheitlichen Dienstleistungen für alle SexarbeiterInnen gewährleistet sein. Insbesondere für Migrant_innen mit ungeklärten Aufenthaltsstatus in- und ausserhalb der EU-Staaten.
Die Praxis zeigt, dass sich SexarbeiterInnen international Kontrollen und Reglementierungen zu entziehen suchen und dann der Zugang für Prävention und zu Gesundheitsdiensten so gut wie ausgeschlossen ist. Hinzuweisen ist auch auf die Verstärkung des Stigmas, indem man SexarbeiterInnen generell als “VirenverbreiterInnen” diskriminiert und Vorurteile verfestigt. Schutz, auch Arbeitsschutz und Sicherheit lassen sich schwerlich über Zwangsmassnahmen herstellen. Die Bundesregierung ist aufgefordert ihre Vorschläge zu überdenken, um zu konstruktiven Lösungen zu kommen.
Eine Diskussion hier im Kommentarteil wäre wünschenswert, Argumente pro und contra Pflichtuntersuchungen und die in der Diskussion stehenden Zwangsmassnahmen sind sehr willkommen.
Und hier das Ergebnis unserer Umfrage:
Erstaunliche 51% stimmten pro Pflichtuntersuchungen für Sexarbeiter, 49% dagegen. Wir hoffen, dass hinter diesem Ergebnis mehr die Sorge um die allgemeine Gesundheit steht als der Wunsch nach Überwachung...