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MelKingPoint
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Achtung, Reizend!

Zwischen Sichtbarkeit und Stigma

Mein persönlicher Blick auf Sexarbeit in einer widersprüchlichen Gesellschaft


Wer in die Sexarbeit einsteigt, weiß eigentlich schon vorher, dass sie gesellschaftlich stigmatisiert ist. Das bedeutet: Man überlegt sich gut, wem man davon erzählt, nicht aus Scham, sondern aus Rücksicht. Denn auch wenn man selbst längst einen selbstbestimmten Zugang gefunden hat, reagiert das Umfeld oft mit Vorurteilen, Irritationen oder Missverständnissen. Manche Themen, etwa Ehe, Elternschaft oder der Besuch eines Elternabends, erscheinen plötzlich unvereinbar mit einem offenen Umgang über die eigene Tätigkeit. Ich habe keine Kinder, aber ich stelle mir vor, dass es schwer wäre, beides unter einen Hut zu bringen.


Man hört von Menschen im Paysex, die Schwierigkeiten haben, ein Konto zu eröffnen oder die aus Versicherungen gedrängt werden. Auch digitale Plattformen wie PayPal schließen uns oft kategorisch aus. Es ist absurd, dass wir im 21. Jahrhundert noch immer auf rechtliche und finanzielle Infrastrukturen verzichten müssen, nur weil unsere Aufgabe mit Sexualität zu tun hat.


Ich habe mich für Sexarbeit entschieden, als mir das alles ziemlich egal war. Ich fand den gesellschaftlichen Mainstream anstrengend, spießig und oft verlogen. Der Einstieg in die Sexarbeit war für mich eine Form der Befreiung. Nicht, weil alles daran „super“ ist. Ganz im Gegenteil. Ich sehe vieles kritisch. Aber ich habe bewusst einen Weg gewählt, der mich aus einer bestimmten Norm herausgelöst hat.


Trotzdem bleibt die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Wahrnehmung und gelebter Realität ig. Es gibt nicht die eine Sexarbeit, nicht die eine Sexarbeiterin. Die Kontexte sind vielfältig: Escort, BDSM, Tantra, Studioarbeit, Straßenstrich, Online, live, hybrid, glamourös oder prekär. Kein Setting gleicht dem anderen. Und auch wenn das erotische Moment im Zentrum steht, sind wir mehr als nur Hure oder Escort. Wir sind nicht weniger durchschnittlich, nicht weniger komplex als andere Menschen auch.


Das Problem ist: Unser Arbeitsfeld wird kaum ernst genommen. Die Begriffe, die uns zugeordnet werden: „Milieu“, „Hure“, „Nutte“, „Gewerbe“ klingen selten nach Anerkennung. In ihnen steckt oft ein abwertender Ton, selbst wenn sie nur flapsig gemeint sind. Andere Gruppen, etwa queere Communities, haben sich solche Begriffe teils emanzipatorisch zurückerobert. Uns in der Sexarbeit Tätigen ist das bislang kaum gelungen.


Ein Grund dafür liegt vielleicht auch bei uns selbst. Es fehlt an gemeinsamer Lobbyarbeit, an öffentlicher Vernetzung. Viele agieren für sich allein, statt sich solidarisch zu zeigen. Die existierenden Interessenvertretungen sind wichtig, aber oft näher an der Sexindustrie als an den Individuen. In dieser zersplitterten Struktur wird es schwer, kollektive Anerkennung zu gewinnen.


Am Ende bleibt das Stigma und ein Paradox: Selbst wenn Sexarbeit plötzlich überall gefeiert würde, als cooles Lifestyle-Modell oder GNTM-Job mit Glitzerfaktor, auch dann würde sie entwertet. Vielleicht verdienen wir gerade wegen des Stigmas. Weil das Verbotene, das Versteckte, das Uneindeutige einen Wert erzeugt, den man nicht kaufen kann.


Ein Rezept, wie man dem begegnet, habe ich nicht. Nur eine Beobachtung: Sichtbarkeit ist wichtig, aber sie braucht Schutzräume. Und das Stigma ist nicht einfach ein Makel. Es ist auch ein Signal dafür, dass diese Gesellschaft noch lange nicht weiß, wie sie mit Sexualität, Körperlichkeit und Ambivalenz umgehen soll.

Super Blog, sehr reflektiert und sehr umfassend. Eigentlich eine perfekte Basis für eine konstruktive Diskussion. Leider ist das in diesen Blogs schwierig zu realisieren.

28. JunAntworten
@zylkopf der Diskurs müsste eigentlich außerhalb dieser Plattform, nämlich als Diskurs der gesamten Gesellschaft geführt werden. Und das ist ja erst Recht nicht möglich.
28. JunAntworten
@666DevilDriver Ich habe manchmal das Gefühl, das wir in einer Zeit leben, in der kaum noch echte Gespräche zusammen und miteinander stattfinden. Die neuen Kommunikationsformen, das Smartphone usw., machen es zwar leicht, schnell zu agieren, aber ein echter Austausch im Sinne von gegenseitigem Zuhören und ein sich verstehen wollen wird dadurch nicht unbedingt leichter. Statt offenem Austausch trifft man oft nur auf verhärtete Fronten. Manchmal wirkt das fast wie ein Dauerkonflikt, der mehr abschreckt als zum Nachdenken anzuregen. Und vielleicht lenkt das auch ein bisschen von den eigentlichen Themen ab, die dahinter liegen.
29. JunAntworten
@666DevilDriver Ja, über dem Hobby dem jeder Kunde hier nachgeht darf man sich im öffentlichen Raum nicht äußern, denn sonst wird man auseinander genommen, man würde Frauen nur ausnehmen, auch wenn diese dem Beruf der SDL selbstbestimmt nachgehen. Leider
29. JunAntworten
@Jonder Man nennt das einen verengten Meinungskoridor. Diskussionen und ein breiter gesellschaftlicher Austausch sind geradezu unerwünscht. Der Hinweis auf die Situation von Freiern ist beispielhaft. Auch der Begriff Freier an sich ist in der heutigen Zeit schon negiert. Dabei ist ein freien (=lieben, schätzen, umwerben oder sogar ehelichen) gar nichts negatives.
29. JunAntworten

Es ist absurd, dass es Jahrzehnte nach der von Alice Schwarzer und Konsorten ausgelösten Emanzipation der Frau das selbstbestimmte Ausleben der eigenen Sexualität stigmatisiert wird. Letztlich zeigt die Emanzipation der Frau aber, dass es zur Überwindung von Stigmata Sichtbarkeit braucht.

28. JunAntworten
@666DevilDriver, das Stigmata liegt doch weniger auf dem "ausleben der eigenen Sexualität" als auf den Verkauf sexueller Dienstleistungen.
29. JunAntworten
@zylkopf Ich könnte mir vorstellen, dass man bei Sexarbeitenden das eine vom anderen kaum trennnen kann. Das "Ausleben der eigenen Sexualitiert" wird aber bei Sexarbeitenden in der Außenbetrachtung negiert bzw. ausgeklammert. Und es wird ja auch nur über Sexarbeitende gesprochen aber nicht mit ihnen.
29. JunAntworten
@zylkopf wenn man sich bewusst dafür entscheidet sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen, dann lebt man so seine Sexualität. Warum sollte das denn mit einem Stigma behaftet sein, wenn alle anderen Entscheidungen reine Privatsache sind und niemanden etwas angehen?
29. JunAntworten
@MelKingPoint, ich könnte mir vorstellen das genau hier der Hase im Pfeffer liegt. Sexuelle Handlungen sind die einzige körperliche Beschäftigung die von niemandem als reine körperliche Beschäftigung akzeptiert wird. Zumindest in der Außendarstellung. Während des animalischen rumvögeln denkt da wahrscheinlich niemand drüber nach.
30. JunAntworten
@zylkopf Die Diskriminierung von Menschen in Sexarbeit liegt eher daran, weil es für manche Leute nützlich ist. Legitim ist sie nicht.
30. JunAntworten
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