Der Verein für Prostituierte in Frankfurt Dona Carmen hat ein Mammutwerk vorgelegt. Das Buch „Entrechtung durch Schutz“ - Eine Streitschrift gegen das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG). Die Anschaffung lohnt sich, um endlich einen Durchblick zu bekommen, warum das neue Prostituiertenschutzgesetz in der Praxis weder Schutz noch Rechte bedeutet. Leider haben es viele Sexarbeitende und Kunden noch nicht mitbekommen. Das Prostituiertenschutzgesetz, das Sexarbeitende einer Anmeldepflicht unterwirft und Gewerbebetriebe einer Konzessionierung, muß weg. Und zwar komplett! Dieser Auffassung ist zumindest der Verein Dona Carmen aus Frankfurt. Denn das neue Gesetz schützt nicht, sondern entrechtet nur alle SexarbeiterInnen.

 

Entrechtung durch Schutz - warum das Prostituiertenschutzgesetz weg muß
Es gab eine lange Entwicklungsgeschichte über Gesetzentwürfe zur Neuordnung von Prostitution in Deutschland. Manch einer hat die Diskussionen um Gesetzentwürfe seit 2013 verfolgt, viele nicht. Für die meisten kam das Prostituiertenschutzgesetz überraschend. Nun nach 2 Jahren entfaltet es seine Wirkung und es ist Zeit, Bilanz zu ziehen.

 

Dies hat Dona Carmen nun getan. Das Buch bietet einen Überblick über die Etappen der Entstehung des Prostituiertenschutzgesetzes, erklärt, warum Kritik und der Widerstand nicht erfolgreich waren. Es zeigt auf, warum das Gesetz Sexarbeiter*innen nicht schützt.

 

Tatsächlich unterlaufen eine gesundheitliche Zwangsberatung, die Anmeldepflicht („Hurenpass“), die Kondompflicht und die Erlaubnispflicht für das Prostitutionsgewerbe den Schutzgedanken.

 

Prostituiertenschutzgesetz: eine unrühmliche Tradition von Repression und Kontrolle In einem historischen Exkurs steht das Gesetz in einer Traditionslinie von Kontrollmassnahmen im Nationalsozialismus. Gemeinsamer Nenner ist es, Prostituierte zu überwachen. Registrierung und Kontrolle der Sexarbeiter*innen und des Prostitutionsgewerbes in Deutschland ist nämlich auch das Ziel des seit 2 Jahren wirksamen Prostituiertenschutzgesetzes.

 

Schon im April 2014 hatte der Verein Dona Carmen einen eigenen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse in der Prostitution vorgelegt. Auch vor Verabschiedung des Gesetzes 2017 kündigte Dona Carmen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht an. Dazu gab es bundesweite Treffen zur Vorbereitung einer Verfassungsklage. Wir berichteten im Kaufmich Magazin über die Verfassungsklage.

 

Die 2017 eingereichte Verfassungsklage wurde schließlich 2018 durch das Bundesverfassungsgericht abgelehnt. Daraufhin mobilisierte Dona Carmen erneut, um vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu klagen. Das Verfahren ist noch anhängig.

 

Prostituiertenschutzgesetz macht Sexarbeitende verletzlicher
„Es scheint wie ein Treppenwitz der Geschichte: Waren in den 90er Jahren lediglich die Prostitutionsmigrantinnen hierzulande (aufenthaltsrechtlich) illegal, so treibt das neue Gesetz nunmehr auch deutsche Sexarbeiter*innen in die Illegalität.“
Auch die Konzessionierung der Prostitutionsstätten hat zur Folge, daß Prostituierte vielfach gezwungen sind, allein und isoliert zu arbeiten. Denn viele Bordelle müssen schließen. Gute und sichere Arbeitsplätze fallen weg. Dies macht Sexarbeiter*innen verletzlicher, auch weil so der Zugang für Hilfsangebote erschwert ist und im Falle von Gewalt, Stalking, Erpressung, Zwangsouting das Anzeigeverhalten sinkt. Das Gesetz verkehrt sich also in sein Gegenteil. Es macht die Sexarbeitenden verletzlicher und bietet somit keinen Schutz.  Hier wird eine ganze Berufsgruppe systematisch stigmatisiert und rechtlos gestellt. Was Sexarbeitende aber brauchen, ist der Schutz ihrer Grundrechte und die Abschaffung der bestehenden Diskriminierung im Ordnungsrecht, im Baurecht und im Polizeirecht. Sonst wird es eine gesellschaftliche Wertschätzung und Respekt für Sexarbeitende niemals geben. Das Stigma muß weg, das Sexarbeitende in ein Doppelleben zwingt.
Das Prostituiertenschutzgesetz ist ein Angriff auf Frauenrechte allgemein
Das Prostituiertenschutzgesetz ist auch ein Angriff auf Frauenrechte im allgemeinen. Denn Prostitution wird sehr weit gefaßt und als „gezielte Gewinnorientierung“ definiert. Hellhörig werden müßten hier auch alle Sugardaddys und Sugarbabys sowie Ehefrauen, deren Ehe nur noch auf einer rein ökonomischen Abhängigkeit fußt.

 

„Denn eine Reglementierung von Prostitution dient stets als Negativfolie für die soziale Disziplinierung von Frauen der Mehrheitsgesellschaft. (…) Frauen, die nicht bereit sind, sich im Rahmen serieller Monogamie der Kontrolle ihrer Gebärfähigkeit und dem Imperativ hinreichender sexueller Reproduktion zu unterwerfen und die es mit ihrer sexuellen Freizügigkeit möglicherweise „übertreiben“, haben mit einer gesellschaftlichen Ächtung zu rechnen („Schlampe“).“ 
Slutshaming ist für viele Frauen und Mädchen bereits Alltag, wenn sie mit ihrem Verhalten und Auftreten im Bezug auf Sexualität widersprechen. Promiskes Verhalten wird gesellschaftlich bestraft. Dies betrifft sexuell provokativ wahrgenommene Kleidung, die Nachfrage nach Empfängnisverhütung, vorehelicher Sex und eben Prostitution. In sogenannten „Slutwalks“ machen Frauen weltweit darauf aufmerksam. Denn letztlich geht es bei einer Prostitutionsgesetzgebung immer auch um die Disziplinierung aller Frauen.

 

Achtung: das Schwedische Modell ist auf dem Vormarsch
Dies ist nur ein grober Überblick, das Buch ist recht detailreich. Man möge der Klage vor dem Europäischen Gerichtshof viel Erfolg wünschen. Ein Gesetz, das Sexarbeitende schützen soll und in der Praxis illegalisiert und das Gegenteil bewirkt, hat nicht den Namen Prostituiertenschutzgesetz verdient.

 

Es lohnt sich wirklich, sich den alternativen Gesetzentwurf von Dona Carmen vor Augen zu führen und als Community gemeinsam für die Rechte von Sexarbeitenden zu streiten. Denn auch die lieben Kunden sind davon betroffen, nicht nur durch die Einführung einer Kondompflicht.

 

Das Schwedische Modell ist nämlich schon bei deutschen Politikern aus SPD und CDU im Gespräch. Das bedeutet die Absicht, einen Rückgang der Nachfrage nach Prostitution durch ein Verbot von Sexkauf zu erreichen. Kunden werden einseitig kriminalisiert, aber in der Praxis trifft es auch die Sexarbeitenden gewaltig.

 

Das Modell gilt per Gesetz schon in 6 europäischen Ländern sowie Israel und Kanada und findet immer mehr Nachahmer. Also denkt daran: seid solidarisch und unterstützt die Sexworker Vereine und Verbände, die für die Rechte aller streiten.

 

 

 

 

Bezugsquelle

Entrechtung durch Schutz“ - Streitschrift gegen das Prostituiertenschutzgesetz Doña Carmen e.V. (Hrsg.)

 

1. Auflage: August 2019, ISBN 978-3-932246-95-1,

 

648 Seiten, Preis 19,90 €

 

 

 

Seit Ihr mit den Konsequenzen des gültigen Gesetzes vertraut? Das Buch geht alle an, die auch zur Kaufmich Community zählen. Diskutiert die Thesen von Dona Carmen im Kommentarteil. Eure Meinung interessiert uns!  

 

Written by Susi


3 comments

Anonymous

Posted

Liebe Lady Sibille, ich teile Deine Auffassung und Kritik völlig. Wie man am Beispiel Köln sehen kann, gibt es dort einen regulierten Straßenstrich, den Strichplatz, mit "Verrichtungsboxen", Beratungsstellen, Duschmöglichkeit und Essen sowie den umregulierten Straßenstrich im Sperrgebiet, den viele nicht angemeldete Sexworker weiterhin aufsuchen. Ähnlich ist die Situation in anderen Städten wie Berlin, wo es in diesem Sommer ja auch eine Diskussion gab. D.h. wenn es einen regulierten Straßenstrich mit Support und Hilfe gibt, wird es wohl weiterhin die umregulierten Strassenstriche geben, solange es keine vernünftigen Konzepte gibt. Danke für Dein Engagement! liebe Grüße Susi

Share this comment


Link to comment
Share on other sites

Anonymous

Posted

Ich bin politisch aktiv bei der LINKEN in OWL . Derzeit stricken wir an unseren kommunalpolitischen Leitlinien für die Kommunalwahl 2020. Ich habe eine Passage für die Entkriminalisierung von Sexarbeit eingebracht. Sie umfasst die Forderung nach Aufhebung der Sperrgebietsverordnungen, Abschaffung der Sondersteuern für Sexarbeitende und die Forderung nach besserer personeller und finanzieller Ausstattung der Beratungsstellen. Zu meiner Überraschung gab es auf dem Landesrat zu diesen Themen keinerlei Diskussionen - nicht einmal im Frauenplenum. (Ich hatte mich schon auf ein heftiges Sperrfeuer aus den Reihen der Feministinnen gefasst gemacht...). Jetzt müssen die Leitlinien nur noch beim Landesparteitag abgesegnet werden - ich hoffe, dass es klappt. Im übrigen habe ich bei meiner Anmeldung bei dem für mich zuständigen Gesundheitsamt von einem Straßenstrich im Industriegebiet gehört, wo die Arbeitsbedingungen für die Kolleginnen jeder Beschreibung spotten - sie haben noch nicht einmal die Möglichkeit, sich zu waschen... Ich finde, WENN eine Kommune einen Straßenstrich auf ihrem Gebiet toleriert und bei den Frauen die dort arbeiten die Hand aufhält und Steuern kassiert, dann hat sie auch die gottverdammte Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass gewisse Mindeststandards i.S. Sicherheit und Hygiene gewährleistet sind. Aber das ist die Doppelzüngigkeit der bourgeoisen Gesellschaft... nichts hören, nichts sehen, nichts sagen... ABER abkassieren....

Share this comment


Link to comment
Share on other sites

Anonymous

Posted

Danke für die knackige Rezension. Ich hoffe wirklich sehr, dass die Kolleginnen und Kunden checken wie grausam und perfide das schwedische Modell ist und wir verhindern können, dass es auch in Deutschland eingeführt wird.

Share this comment


Link to comment
Share on other sites

YOU MAY ALSO LIKE

×