Zur Frage Erlaubnispflicht : Die Erlaubnispflicht soll nach dem Muster anderer gewerberechtlicher Erlaubnispflichten ausgestaltet werden. Wie ist deine Position dazu und wieso reicht eine allgemeine Anzeigepflicht nicht aus?
Wir haben uns vom Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter gegen eine Erlaubnispflicht ausgesprochen. U.E. reicht für Betriebe eine Anmeldung gemäß §14 Gewerbeordnung um ausreichende Kontrollinstrumente zu haben. Bei begründetem Verdacht, dass etwas nicht in Ordnung ist, greift der §35 der Gewerbeordnung. Danach kann die Ausführung des Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit zu untersagt werden. Im Rahmen eines solchen Verfahrens erlaubt das Gewerberecht „Auskunft und Nachschau“. Darüber hinaus gehende Kontrolle- und Überwachungsbefugnisse halte ich nicht für notwendig.
Was könnte konkret zu verbesserten Arbeitsbedingungen beitragen? Im Bordell oder am Strassenstrich.
Die Arbeitsbedingungen sind ja sehr unterschiedlich. Ich habe sehr gute Betriebe und auch solche gesehen, die in Sachen Hygiene, Zimmergröße und Ausstattung, Preis-Leistungverhältnis der Mieten, Lichtverhältnisse, Rückzugsmöglichkeiten usw. zu wünschen übrig ließen. Meist wählen die Sexarbeiterinnen selbst aus, wo sie arbeiten und verlassen Betriebe, in denen sie sich unwohl oder über den Tisch gezogen fühlen.
Es gibt aber auch einige, die wenig informiert sind, unter Anschaffungsdruck stehen oder einfach örtlich sehr gebunden sind, sodass sie miese Bedingungen in Kauf nehmen. Abhelfen könnten verbindliche Mindeststandards. Die müssten aber auch überprüft werden können, sonst verbleibt ja alles bei unverbindlichen Appellen, die genau so wenig wirksam wären, wie in anderen Branchen auch.
Die wichtigsten Fragen sind dabei, wer diese Standards denn entwickeln, vereinbaren und überprüfen soll. Da sollten in erster Linie die beteiligt sein, die in der Sexarbeit tätig sind. Und etwaige Kontrollorgane sollten nicht anders zusammengesetzt sein, wie in anderen Wirtschaftszweigen und Berufen auch. Da gibt es verschiedene Lösungen, wie Gewerbeaufsicht, Kammern, Berufsverbände, ...
Wie ist deine Haltung zu Flatrate- und Gang Bang Verbot? Wie kommt man darauf, dass das sexuelle Selbstbestimmungsrecht durch diese Veranstaltungen gefährdet bzw. ausgehebelt wird?
Da denke ich ganz ähnlich wie der BESD: Ein Geschäftsmodell von vornherein als Verletzung der Selbstbestimmungsrechtes anzusehen, ist kurzsichtig. Es kommt immer auf das Setting an. Flatrate- und Pauschalclubs können gut aufgestellt sein und den Frauen attraktive Bedinungen bieten. Einige Frauen, die ich kennen gelernt habe, bevorzugen diese Arbeitsorte, weil sie sich um nichts kümmern müssen. Andere vermissen dort Gestaltungsmöglichkeiten. Von einem Verbot halte ich gar nichts. Auch nicht was Gang Bang betrifft. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass so ein Verbot rechtlich möglich ist. Schließlich handelt es sich um einvernehmlichen Sex, der in unserer Gesellschaft erlaubt ist. Warum sollte verboten werden, was in keiner Weise beanstandet wird, wenn es unentgeltlich stattfindet? Am Runden Tisch in NRW hat eine Sexarbeiterin sehr unaufgeregt dargestellt, was eine Gang-Bang-Party ist und welche Regeln eingehalten werden müssen, damit die Sexarbeiterin die Zügel in der Hand hält. Das war sehr erhellend. Ich glaube, dass die Rufe nach Verboten immer auch mit Unwissen und Projektionen der eigenen Ängste zu tun haben.
Wie stehst Du zum Vorschlag von Werbeverboten von ungeschütztem Sex und die Förderung von safer Sex?
Die Vorschläge kommen mir sinnvoll vor, ich frage mich nur, wie ein Verbot durchgesetzt werden soll. Wahrscheinlich wird ein solches Werbeverbot immer wieder mit neuen Begriffen für ungeschützte Praktiken umgangen werden können. Was heute „tabulos“ oder „pur“ genannt wird, heißt dann einfach anders.
Ungeschützter Sex ist eine echte Gefährdung für beide Seiten, ob beruflich oder privat. Die Aufklärung darüber sollte im Vordergrund stehen. Schützende Arbeitsmittel sollten frei zugänglich sein. Es gibt andere Berufe, in denen Schutzmaßnahmen genau so wichtig sind, z.B. Pflege, ärztliche Tätigkeiten, Arbeiten in Versuchslaboren oder in der Abfallbeseitigung, im Straßenbau. Da können Informationen überall eingeholt werden und die Unternehmen sind verpflichtet, für Schutz und Arbeitsmittel zu sorgen. Über Sexarbeit wird halt weniger geredet. Da gibt es keine Ratgeber in öffentlichen Medien. Da gibt es immer nur Skandalberichterstattung.
Wenn eine Krankenschwester mal ohne Handschuhe arbeitet und mit Körperflüssigkeiten oder sonstigen möglicherweise kontaminierten Stoffen in Verbindung kommt, lässt sie abklären, ob sie sich eine Infektion zugezogen hat. Das sollten Sexarbeiterinnen auch tun. Kondom geplatzt? Ohne Kondom gearbeitet? Dann ist eine Untersuchung angesagt. Während ich Untersuchungen im 14-tägigen oder wöchentlichen Turnus, wie es die früheren Pflichtuntersuchungen verlangten, völlig unsinnig finde. Wenn der Körper bei der Arbeit eingesetzt wird, muss er entsprechend gepflegt und geschützt werden. Dafür tragen alle Beteiligten Verantwortung: Sexarbeiterinnen, Kunden und auch die Betreiber.
Vor allem sollte niemand Druck ausüben, auf Schutz zu verzichten. Zu bedenken ist, dass manche Sexarbeiterinnen unter hohem Anschaffungsdruck stehen und deshalb eher bereit sind, auf Schutz zu verzichten. Da helfen keine Appelle, schon gar keine Verbote. Da hilft es eher, über Möglichkeiten nachzudenken, wie die gesamte Lebens- und Arbeitssituation verbessert und die Position der Sexarbeiterinnen verbessert werden kann.
Meldepflicht: die kommunale Registrierung von SexarbeiterInnen aus allen Branchen, Segmenten des Gewerbes ist ebenfalls Inhalt des Eckpunkte-Papiers. Welche Behörde, gar Polizei soll die Sexarbeiterinnen überprüfen? Glaubst du, dass es sich um eine stigmatisierende Sonderbehandlung handelt, die dazu dienen kann, flächendeckende Bewegungsmuster der Sexarbeiterinnen anzufertigen?
Meldepflicht für Gewerbetreibende ist an sich keine diskriminierende Maßnahme, das müssen andere auch. Allerdings unterliegen andere Berufe nicht einem solchen Stigma. Sexarbeiterinnen haben ein legitimes Interesse, ihre Identität nicht preiszugeben. Sie müssen für sich und ihre Familien ernste Nachteile befürchten, wenn bekannt wird, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen.
Die Begründung für eine Anmeldepflicht erscheint mir auch nicht plausibel. Angeblich sollen Sexarbeiterinnen dadurch besser geschützt werden, weil „man weiß, wer sie sind und wo sie sich aufhalten“, wie es eine Politikerin auf einer Fachtagung erklärte. Wie soll das aussehen? Tägliche Meldung? Ungebetene Besuche an der Arbeitsstätte? Meldung schützt kein bisschen vor Ausbeutung und Übervorteilung. Ich kann mir gut vorstellen, dass die miesesten Clubs als erste „ihre Frauen“ anmelden. Was soll sie davon abhalten, ihnen überhöhte Mieten oder Anteile abzunehmen?
Registrierungspflicht für Sexarbeiterinnen hat für mich einfach den Beigeschmack von Kontrolle und Unterwerfung. Die Vergangenheit zeigt auch, dass die Erfassung immer zu Kontrollen und auch Übergriffen geführt hat. Registrierte Frauen konnten jederzeit aufgegriffen werden und wurden zu medizinischen Untersuchungen gezwungen. Oft waren sie auch Opfer von Zwangsbehandlungen. Im Faschismus wurden sie verfolgt, verhaftet oder in Bordelle gezwungen.
Nach 1945 gab es bis 2000 die Pflichtuntersuchungen beim Gesundheitsamt. Alle Sexarbeiterinnen mussten sich dort melden und in regelmäßigen Abständen untersuchen lassen. Sie konnten polizeilich vorgeführt werden. Daten wurden an andere Behörden gegeben. Falls sie Infektionen hatten, konnten die Polizei und sogar die Betreiber informiert werden. Abgesehen davon, dass dieses Vorgehen keinen gesundheitlichen Vorteil für die Frauen brachte, ist bis heute kein Beleg dafür erbracht worden, dass sie vor Gewalt und Ausbeutung besser geschützt waren.
Solange Sexarbeit gesellschaftlich ausgegrenzt wird, ist eine Meldepflicht indiskutabel. Wer Sexarbeiterinnen schützen will, soll ihnen Rechte geben und Strukturen schaffen, die diese Rechte garantieren. Und das geht nur, wenn Sexarbeiterinnen an allen Entscheidungen, die sie und ihr Leben betreffen, beteiligt sind. Deshalb sollte auf eine Anzeigepflicht verzichtet werden. Die selbständig ausgeübte Sexarbeit sollte als freiberufliche Tätigkeit eingestuft werden.
Im NRW-Abschlussbericht zum Runden Tisch wurde erwähnt, dass Madonna e.V. eine mobile App entwickelt, die den Sexarbeiterinnen bei ihrer Arbeit helfen soll. Kannst Du uns konkret etwas über diese App berichten? Dazu können die Mitarbeiterinnen von Madonna besser Auskunft geben. Ich war in dieses Projekt nicht mehr involviert.
Vielen Dank für das Interview!
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