Meine Interview Partnerin ist heute die Autorin Ilan Stephani, die kürzlich das Buch "Lieb und teuer - was ich im Puff über das Leben gelernt habe" veröffentlicht hat. Ich habe das Buch mit grossem Genuss gelesen und freue mich, dass Ilan einem Interview zugestimmt hat.

 

Ilan Stephani, Sie arbeiteten während ihres Studiums zwei Jahre in einem Berliner Bordell. Als Paula erforschten Sie ihre Kunden und Kolleginnen, ihre und eigene Bedürfnisse, und stellten fest, dass Huren auch nur „ganz normale Menschen“ sind. Wie haben Sie sich denn vorher Huren vorgestellt? Ich hatte die üblichen Bilder im Kopf – Huren sind laut, schrill und exotisch, gleichzeitig sind sie in einer Notlage und unglücklich, also ein „Opfer“. Vor allem dachte ich, Huren seien „irgendwie anders“ als ich. Erst durch meine Begegnung mit echten Huren merkte ich, dass das alles überhaupt nicht stimmt.

 

Sie erwähnten eine Studienfreundin, der sie von ihrem neuen Job beichteten, stellten dabei überrascht fest, dass sie ebenfalls schon als Escort gearbeitet hat. Sie hatte sich dafür ein Profil auf unserer Plattform Kaufmich.com zugelegt. Ist Sexarbeit unter Studentinnen also viel verbreiteter in unserer Gesellschaft, als man annimmt und was glauben Sie, welche Auswirkungen das neue Prostituiertenschutzgesetz auf diese Entwicklung hat? Prostitution ist natürlich verbreiteter, als die Gesellschaft annimmt, auch unter Studentinnen. Für die Gesellschaft existiert das Phänomen Prostitution ja nur am Rande – tatsächlich jedoch ist es auch in Deutschland eine der umsatzstärksten Branchen. Wie sich das neue Gesetz darauf auswirkt, weiß ich nicht. Ich glaube auch, dass man das aktuell nicht wissen kann, weil ja nicht einmal die grundlegenden Fragen zur Durchführung der Meldepflicht geklärt sind – welches Amt zuständig ist, etc.

 

Sie schreiben, Sie waren das, was man eine freie und selbstbestimmte Hure nennt. Wieso kamen Ihnen dennoch Zweifel am System Prostitution? Naja, ich kann ja gleichzeitig frei und selbstbestimmt sein UND Zweifel an einem System oder Prinzip haben. Bei mir war das so. Ich selbst hatte, in meine eigenen Situation, keinen Grund, mich zu beschweren – aber nach zwei Jahren Puff dämmerte mir immer mehr, dass dieser bezahlte sexuelle Tauschhandel auf einer sexuell unglücklichen Kultur beruht, und ich fand es reizvoller, das zu ändern, als innerhalb von diesem Spiel zu bleiben.

 

Ihre Beobachtungen über Kunden stellen manche Vorurteile auf den Kopf. Die Annahme, „dass Freier ohne Gefühle auskämen, ist grundfalsch“ schreiben Sie. Viele Kunden versuchen  „die Wand aus unpersönlichem Sex zu überwinden“ und wünschen eine authentische Begegnung. Sie wollen nicht nur einfach Sex, sondern es sollen auch andere Gefühle angesprochen werden: Zärtlichkeit, Nähe und Vertrautheit? Ist diese gewünschte Intimität nicht auch eine Art Grenzüberschreitung für viele Huren? Doch, auf jeden Fall. Und das Spannende daran ist: Wenn ein Freier einer Hure mit seiner Bedürftigkeit und Sehnsucht nach Liebe zu nahe tritt, dann spiegelt das wiederum etwas, das es auch außerhalb vom Puff gibt, und zwar in unseren ach so romantischen Liebesbeziehungen! Ich denke, alle Menschen, die Partnerschaften kennen, wissen, wovon ich spreche – wir sind nicht nur die reifen Erwachsenen, die die volle Verantwortung für ihre Gefühle übernehmen... sondern auch die kleinen Babys, die nicht genug Liebe bekommen haben. Und ich sage das nicht, um es zu kritisieren. Ich denke nur, es ist gut, dass wir uns über diese Dynamiken nicht selbst und gegenseitig belügen – und dass wir nicht so tun, als würde ein Problem im Puff existieren, von dem der Rest der Welt keine Ahnung hätte.

 

Nett sein und gefällig sein ist die Devise, sonst hat man als Hure keinen Erfolg. Letztlich liefere die Gesellschaft mit ihren Rollenbildern den Nachschub für den Puff: Frauen lernen von klein auf, dem Ego von Männern zu schmeicheln, gefällig und taktvoll zu sein und auf das Selbstbild von Männern Rücksicht zu nehmen. Frauen setzen allenthalben ihre Sexualität ein, um an Geld, Macht und Anerkennung zu kommen. Ist das nicht feministisch gedacht, als Frau mit Sex ein unabhängiges Einkommen zu erzielen? Stellt sich die Frage, wie weit man mit „Feminismus“ kommen will. Prostitution kann innerhalb von patriarchalen Gesellschaften eine RELATIVE Befreiung sein – ja. Aber eben keine absolute Freiheit. Dafür reicht der patriarchale Kontext nicht aus – dafür muss man dieses Prinzip auflösen. Und ich will es halt lieber auflösen, statt innerhalb des Spiels eine bessere Position zu ergattern.

 

Den Männern geht es sexuell schlecht, so Ihr Fazit: Sie stehen unter Druck und leiden unter einer sexuellen Not. Männer, das starke Geschlecht? Im Puff erlebten Sie das krasse Gegenteil. Ist es tatsächlich leistungsbezogener Sex, der den Männern da antrainiert wird und welche Rolle spielt dabei Pornographie? Leistungsbezogener Sex ist tatsächlich ein kollektives sexuelles Trauma für Männer, weil sie dann immer mit der Idee ins Bett steigen, „versagen“ zu können. Was in einer sexuell intakten Welt eine völlig absurde Idee wäre – ein klassischer Kategorienfehler.

 

Unter der sexuellen Leistung liegen aber noch weitere Traumaschichten für Männer – die körperliche Vernachlässigung bezüglich Berührung, Verständnis, Unterstützung und Gefühlen. Das belastet auch den Sex, den Männer später erleben, obwohl es keine sexuellen Prägungen sind, sondern allgemein menschliche. Pornos verstärken diese gefährliche Idealisierung von Männern als Maschinen – ja. Trotzdem glaube ich, dass Pornos der Kultur, die sie konsumiert, eher etwas spiegelt, als dass sie selbst etwas auslösen, was vorher noch nicht da war.

 

Sie schreiben, der Sex mit Kunden sei auch nicht anders als privat. Sex ist für Sie eine soziale Währung: können Sie das bitte kurz erläutern? Heute ist Sex für mich keine soziale Währung mehr. Aber so hatte ich Sex kennengelernt – es war eine Möglichkeit, um Aufmerksamkeit, Selbstwertgefühl und soziale Achtung zu bekommen. Nicht umsonst reden wir auch außerhalb vom Puff über unseren „Marktwert“. Sex war in meiner Jugend ein Weg, um mich in einer Gruppe von Menschen zu orientieren – wer steht auf mich, wer ist angesagt, wer ist eifersüchtig, wen will ich haben und so weiter. Erst nach dem Puff lernte ich, dass es beim Sex auch einfach um den Sex an sich gehen kann, nicht um die sozialen Aspekte in einer Clique oder Gesellschaft, die wir so oft mitschleppen, wenn wir heranwachsen.

 

Die meisten Frauen meinen, wenn sie Spass am Sex haben, nicht die vaginale Befriedigung, sondern die klitorale Erregung, die Vagina schweigt, schreiben Sie. Echte Ekstase gibt es kaum im Puff. Aber ist es nicht auch gut so, dass die Vagina schweigt? Schliesslich stehen die Bedürfnisse der Männer im Vordergrund. Dafür wird man bezahlt! Nicht, um als Hure eigene sexuelle Erfüllung zu finden oder? Ob die „schweigende Vagina“ gut ist oder nicht, darf natürlich jede Frau für sich selbst entscheiden. Mir geht es in dem Hinweis auf die vaginale Sexualität nicht darum, zu sagen, sie sollte im Puff auftauchen oder nicht, sondern darum, dass wir in unserer sexuellen Aufklärung und Kultur einfach mehr lernen darüber, was alles zu unserem sexuellen Potential gehört. Und dass die verschiedenen Formen von Erregung oft bedeuten, dass wir verschiedene sexuelle Techniken und „Qualitäten“ ausprobieren dürfen, statt immer nach demselben Schema vorzugehen.

 

Sie sagen, dass die Prostitution überwunden werden muss, damit an ihrer Stelle eine bessere Alternative stehen kann. Das fängt mit einer zeitgemässen sexuellen Aufklärung an, die „wirklich guten“ Sex beschert. Wie könnte diese Aufklärung aussehen? Ich denke dabei an folgendem Satz aus Ihrem Buch: „Wenn wir den Mädchen das Nein beibringen würden, bevor wir Ihnen beibringen, Tangas anzuziehen, dann hätten wir ein sexuelles Paradies.“ Sexworker müssen ja von Anfang an lernen, ihre Tabus durchzusetzen. Warum ist das so schwer? Sexuelle Grenzen zu setzen ist für alle Menschen schwer, nicht nur für Sexworker. Wir Menschen machen nämlich einen Kardinalfehler, den alle anderen Säugetiere nicht machen. Deshalb hat auch keine Spezies so viele sexuelle Probleme wie wir Menschen.

 

Dieser sexuelle Kardinalfehler ist: Wir sagen zuerst JA zueinander, und versuchen danach, das mit dem NEIN und den eigenen Grenzen zu klären. Besonders Mädchen wird das beigebracht: Lächeln und Nicken, nur nicht Brüllen und Kämpfen und Siegen. Das ist ein flächendeckender gesellschaftlicher Skandal.

 

Denn evolutionär funktioniert in unserem Nervensystem leider nur die umgekehrte Reihenfolge: Wenn wir mit jemandem Sex haben wollen, dann müssen wir zuerst klären, dass dieser Mensch meine Grenzen respektiert – und ich seine! Wenn das klar ist, schaltet unser Nervensystem die Lust auf Kontakt und Offenheit frei – und dann lösen viele sexuelle Schwierigkeiten von selbst auf.

 

Wie schreiben Sie so schön: „Wir mögen die Hure nur, solange sie so tut, als sei sie keine“. Ich finde diesen Satz wirklich treffend. Das ist doch so ähnlich, wie der beschriebene Kunde im Puff, der niemals akzeptieren würde, dass die eigene Tochter auf dem Strich geht, er aber keine Probleme damit hat, Paysex zu konsumieren? Genau. Es ist so einfach, sich über die Verlogenheit vom Puff zu empören. Aber genau diese Anmaßung, über den Puff zu urteilen, finde ich viel empörender. Denn unser gesellschaftliches Denken über das Thema Prostitution ist so schief, dass wir Huren der Gesellschaft keine Erklärung schulden und keine Rechtfertigung.

 

Wenn man Ihr Buch gelesen hat, könnte man glauben, die Prostitution sei die letzte Bastion des Patriachats. Glauben Sie, dass der Hurererei die letzte Stunde geschlagen hat? Nein, das glaube ich nicht. Ich sehe nicht, dass wir als Gesellschaft in absehbarer Zeit so reif und sexuell klug sein werden, dass wir die Prostitution nicht mehr haben werden. Im Übrigen kann ich den Eindruck nicht nachvollziehen, dass die Prostitution die letzte Bastion des Patriachats ist. Denn in diesem Patriachat ist alles eine Bastion von diesem Prinzip. Wir können überall ansetzen, um es aufzulösen. Nur: Irgendwo ansetzen, das müssen wir dann halt auch wirklich tun.

 

Vielen Dank für das Interview!  

 

Written by Susi


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Dienstleister,haben immer die Macht. Die Enduser,sind die verwirrten Seelen die der power of lust for chash komplett ausgesetzt sind. Angebot und Nachfrage,das Angebot bestimmt den Preis!!! 3-4 Angebote (+++EDIT+++)decken hier im Vergleich ganze Gemeindekreise und kommunen ab und können somit eine unkontrollierte Preisabsprache,kalkulieren und ertwirtschaften ohne Festgelegte Kontrollen die dem realen physikalischen Aspekt surreal vorkommen. Wie und welche Einheiten ,werden genutzt um feste Tarife zu etablieren,werden diese Preise bestimmt und festgelegt um unlauterer Wettbewerb und Grauzonen Akteure zu decken,in den Zeiten von den Vereinigten Staaten von Europa. Ne Die Gesellschaft und die Obrigkeit,Stempelt dieses Gewerbe rotlicht+verrucht,als Asoziale ab. Dabei bekommen,Herrschaften potenzmittel vom Kassenarzt verschrieben. Die unter dem Limp dIc*Syndrom leiden,können dann auf Krankenkassen Medizin,in diesem tabu gewerbe agieren. Und die sogenannten Huren ( Dienstleister) Werden nicht anerkannt als Sextherapeuten Na das seh ich als Kreislaufwirt,als Pulverfass.wenn da mal abgerechnet wird ;)) Lg

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