Für alle Interessierten, die nicht am Sexarbeit-Kongress in Hamburg teilnehmen konnten, habe ich einmal ein paar Infos zusammengestellt, denn ich war da!

 

Gemeinsam mit dem bundesweiten Netzwerk der Fachberatungsstellen für SexarbeiterInnen BUFAS hat die Interessenvertretung für SexarbeiterInnen BesD - Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen - diesen Fachkongress vom 2. bis 4. März in Hamburg organisiert.

 

Aufgerufen, sich am Kongress zu beteiligen, waren natürlich aktive und ehemalige SexarbeiterInnen. Auch engagierte Kunden wurden gesichtet. In der Mehrzahl hatten sich AkademikerInnen, SozialarbeiterInnen und StudentInnen am Veranstaltungsort der HAW (Hochschule für Angewandte Wissenschaften) eingefunden und diskutierten die möglichen Auswirkungen des geplanten Prostituiertenschutzgesetzes, die Arbeit in den Beratungsstellen und die Rolle von Sperrbezirksverordnungen, Gesundheitsschutz, die Konzessionierung von Prostitutionsstätten sowie Migration und Menschenhandel.

 

Seit einigen Jahren ist ja schon das neue Gesetz zur Regulierung der Prostitution in Planung. Es soll nun Mitte 2017 in Kraft treten. Wir berichteten dazu bereits ausführlich. Auch darüber wurde beim 2. Sexarbeit-Kongress in Hamburg beraten, wie schon vor zwei Jahren beim letzten Sexarbeit-Kongress in Berlin. Hier lassen sich die Vorträge vom letzten Kongress 2014 downloaden.

 

Am ersten Tag - dem Politik-Tag - wurden allerhand Vorträge gehalten: Unter anderem stellt sich die Frage, wie die verpflichtenden Gesundheits-Beratungen, die auf die SexarbeiterInnen zukommen, das Vertrauensverhältnis der bisherigen anonymen Beratungspraxis beschädigen. Auch sah man die Existenz vieler Sexdienstleisterinnen mit in Kraft treten des neuen Gesetzes bedroht. Zum Beispiel dürfen SexarbeiterInnen nicht mehr an ihren Arbeitsplätzen übernachten. Dies führt dazu, dass ihre Mietkosten in schwindelerregende Höhen gehen dürften, da sie zusätzlich in einer anderen Stadt Hotelzimmer u.ä. anmieten müssten.

 

Eine Juristin zweifelte an der Verfassungsmässigkeit des Gesetzes. Wenn wahr ist, dass kleine Wohnungsbordelle die gleichen Auflagen wie Grossbetrieben drohen, wird es wohl zur Konsequenz haben, dass die vielen Kleinen schliessen müssen, wie man es in den letzten Jahren auch in Wien und Zürich beobachten kann, wo ähnliche Regelungen schon länger in Kraft sind.

 

Auch wurde das Thema männliche Sexarbeit angesprochen; nur 9 Beratungsstellen gibt es bundesweit. Viele Männer können sich selbst weder als Prostituierte noch als Sexarbeiter identifizieren, es gibt kein Bewusstsein von diesem „Beruf“. Ähnliches gilt sicher auch für die vielen Frauen, die in der Branche unterwegs sind. Wenn die Männer hauptsächlich über das Internet ihr Geschäft abwickeln, bezeichnen sich viele als Escort. Männer, mehrheitlich Migranten, in deren Herkunftsländern Homosexualität geächtet ist, haben überhaupt keine Bezeichnung für ihren Job. Der Sozialarbeiter der Beratungsstelle Nachtfalke in Essen, Manuel Hirschmann, berichtete auch, dass seine Klientel vorwiegend aus Armutsgründen anschafft.

 

Interessant war auch der Vortrag zum Thema Sexarbeit und Datenschutz: hier berichtete die Referentin Bärbel Uhl, dass in Deutschland erhobene Daten über SexarbeiterInnen zur Strafverfolgung in anderen Ländern, z.B. den Herkunftsländern führen können. Insbesondere dort, wo Sexarbeit verboten ist.

 

Wer mehr Details zu den Vorträgen erfahren möchte, kann sich unseren Twitter-Feed dazu anschauen @kaufmichcom oder warten, bis auf der Seite des BesD die Vorträge zum Download bereitstehen.

 

Der zweite Tag - der Workshop-Tag -, wurde mit Vorträgen eingeleitet und die Themen in zahlreichen Arbeitsgruppen vertieft. So erfuhr man im Workshop Migration viel über die Arbeitssituation migrantischer Sexarbeiterinnen in ganz Europa, die an manchen Orten etwa 90% des Anteils aller SexarbeiterInnen ausmachen. Hier referierte Veronica Munk von Tampep.

 

In den Abendstunden wurde dann der Film „Sexarbeiterin“  vor neugierigen Publikum gezeigt. Eine Filmkritik findet Ihr dazu hier im Magazin.

 

Ein Highlight bestand in der abendlichen Führung durch den Rotlichtbezirk St. Georg, dem traditionellen Bahnhofsviertel, wo uns Emilia Mitrovic von Verdi (ja auch SexarbeiterInnen sind seit 2002 willkommen in der Gewerkschaft) Auskunft über Veränderungen in diesem Viertel gab. Praktisch ist ganz St. Pauli und St. Georg Sperrbezirk, trotzdem schaffen Frauen, Trans*Frauen und Männer dort an. Meist auf der Strasse und in Stundenhotels. Dem Viertel droht, durch die Gentrifizierung das Gesicht zu verlieren: Viele Stundenhotels  - die sog. Stiegen - wurden in den letzten Jahren in normale Hotels umgewandelt: zwei iranische Brüder haben bspw. eine Menge Stiegen aufgekauft und so viele Arbeitsplätze von Sexarbeiterinnen vernichtet. Es finden ständig Polizei-Kontrollen statt, die dazu führen, dass Sexarbeiterinnen hohe Bußgelder zahlen müssen und, wenn sie es nicht können, teils im Gefängnis landen. Denn in St. Georg gilt die sog. Kontaktverbotsverordnung, über die wir bereits berichteten. Nicht nur die SexarbeiterInnen machen sich für das öffentliche Werben strafbar, auch Kunden, die mit den Frauen in Kontakt treten.

 

Am Ende unseres Rundgangs landeten wir am Hansaplatz in der Kneipe „Hansa-Treff“ von dem türkischen Wirt Mehmet und der Rumänin Liliana. Die beiden sind seit 10 Jahren ein Paar und haben eine bewegte Vergangenheit;  Liliana war früher Zwangsprostituierte und Mehmet, ehemaliger langjähriger Junkie, holte sie da raus. Heute betreiben die beiden zwei Kneipen und zwei weitere Unternehmen. Hut ab vor den beiden, wie sie ihr Schicksal erfolgreich gemeistert haben! Eine echte Erfolgsstory! Auch die Leute, die in ihren Unternehmen arbeiten, sind alles Leute aus der Szene, ob Drogen oder Strich. So haben sie alle eine neue Arbeit und einen liebenswerten Ort gefunden, wo man zusammenhält.

 

Und natürlich wurde auch gefeiert. Am zweiten Tag fand eine Party statt. Dort hatte man mal die Zeit und Ruhe, von Aussenstehenden unbehelligt im Kreis von aktiven und ehemaligen SexarbeiterInnen zu plaudern. Ein schöner Abend!

 

Written by Susi


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