Nicht jeder Straßenstrich funktioniert gleich, es gibt Unterschiede. Zum Beispiel ähnelt der Straßenstrich in Berlin, Hamburg oder Barcelona nicht dem Straßenstrich in New York City oder Strichplätzen wie in Zürich und Köln. In einer kriminalisierten Umgebung zu arbeiten macht Sexarbeit noch riskanter, als sie ohnehin schon ist.
Gemeinsam haben alle Straßenstriche, dass hier oft Frauen, Trans*Menschen und Drogen gebrauchende Prostituierte arbeiten. Sie sind aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Klasse, Geschlecht, Gender als "Armutsprostituierte" markiert und gesellschaftlich am stärksten ausgegrenzt.
Straßenstrich hat auch Vorteile
In Berlin und Barcelona arbeiten fast nur Migrant:innen, in New York City hauptsächlich schwarze Frauen am Straßenstrich. Alles Menschen, die nicht privilegiert sind und auch keinen Zugang zu Escortservice, Bordellen und geschützten Räumen haben. Der Straßenstrich hat den Vorteil, dass hier normalerweise sehr schnell Geld ohne Vermittlung Dritter oder teure Werbung und langwierige Kontaktanbahnung verdient werden kann. Auch sind meist keine Mieten fällig. Es gibt aber an manchen Straßenstrichen auch Standmieten, die von Zuhältern eingetrieben werden.
Die Straßenstrich-Beauftragte und Vorständin des Berufsverbandes Sexarbeit, Nikole Schulze, die selbst mit einem Camping Mobil an der Strasse in Köln und Trier arbeitet, überzeugt das Konzept des Kölner Strichplatzes an der Geestemünder Strasse. Denn er bietet halbwegs sichere Sexboxen für einfahrende Autos und eine Hilfe-Infrastruktur vor Ort. Damit erhalten die Frauen ein Mindestmaß an Hygiene, können sich reinigen und ausruhen.
Legaler und illegaler Straßenstrich
Dies ist auch in einer Beratungsstelle in Berlin am Straßenstrich möglich, aber die Arbeitsbedingungen sind völlig anders als ein Strichplatz wie in Köln und Zürich. Allerdings hat der regulierte Strichplatz in Köln dazu geführt, dass hier nur angemeldete Sexworker arbeiten. Sexworker, die nach dem ProstSchG nicht angemeldet sind, und/oder mit Sexarbeit ihre Drogensucht finanzieren, arbeiten dort nicht und weichen auf den illegalen Strich in Köln aus.
Grundsätzlich sind die Arbeitsbedingungen am Straßenstrich finster, ob legal in Berlin oder illegal in New York. Hier sind Sexworker häufig mit Gewalt, Beleidigungen und Beschwerden von Anwohnern konfrontiert. Diese Beschwerden gibt es überall. Ob entkriminalisiert in Neuseeland oder in Hamburg St. Georg, wo Prostitution auf der Straße laut Sperrbezirksregelung ja eigentlich verboten ist. Hier gilt zusätzlich eine
Kontaktverbotsverordnung, die Kunden kriminalisiert und von der Kontaktanbahnung abhalten soll. Ein regelrechter
Kreuzzug gegen die Freier ist international zu beobachten.
Überlebensprostitution läßt sich nicht abstellen oder verbieten
Der Strassenstrich ist für wohnungslose und/oder Drogen gebrauchende Sexworker oft die einzige Möglichkeit des Gelderwerbs. Der Suchtdruck kann dazu führen, dass Sexworker kein Safer Sex oder andere Sicherheitsmaßnahmen gegenüber Kunden durchsetzen können. Sie haben eine schwache Verhandlungsposition, die ausgenutzt wird.
Sollten Straßenstriche eines Tages durch Sperrbezirke und Verbote verschwinden, ist die Frage, wohin die Sexworker ausweichen können. Üblicherweise in die Nachbarstraßen. Survival Sexwork läßt sich nicht verbieten. Ein komplexes soziales Problem läßt sich nicht einfach abstellen wie ein Wasserhahn. In New York konzentriert sich der illegale Straßenstrich in Gewerbegebieten, wo es große Distanzen zwischen den einzelnen Frauen gibt, die im Notfall keine Hilfe rufen können, da niemand in Sichtweite ist.
Der Straßenstrich ist innerhalb der
Whorearchy die unterste Stufe der gesellschaftlichen Huren-Hierarchie. Auch weil hier Gewaltübergriffe an der Tagesordnung sind und Geschlechtsverkehr öffentlich vollzogen wird. Wenn nicht zufällig eine Steige oder Stundenzimmer in der Nähe verfügbar ist.
Die „guten“ und die „dreckigen“ Huren
Es wird immer über den „schmutzigen“ Straßenstrich gesprochen, obwohl hier auch Luxuskarossen vorfahren und durchaus auch gebildete und kultivierte Kunden aus höheren Kreisen verkehren. Und auf der anderen Seite spricht man von der „guten Sexarbeiterin“, die ihren Job liebt und freiwillig macht.
Die benachteiligten Sexworker bleiben so meist unsichtbar und medial stigmatisiert.
Übrig bleiben in den Medien meist privilegierte, weil deutsche und gebildete Sexworker mit Steuernummer und Registrierung. Sie können sich offenbar ein Outing leisten und bieten weniger stigmatisierte Tantra Massagen und BDSM Praktiken an. Sie können ihre Kunden in der Praxis auf Distanz halten und haben keine Sprachbarrieren.
Das Gewaltrisiko verschwindet auch nicht im Hochpreis-Segment. Es gibt Ereignisse wie der
Angriff des Profi-Radsportlers Jan Ulrich auf eine Escortdame in einem Hotelzimmer, die sonst eher selten das Licht der Öffentlichkeit sehen.
Es geht immer ums Geld, denn es ist Arbeit
Der Preis ist eine wichtige Seite der Medaille. Ob Niedrigpreis- oder Hochpreissegment: Hier wie dort geht es zunächst einmal um finanzielle Interessen, sonst würde man den Job ja nicht ausüben. Wie jeder andere Arbeiter und Angestellte auch. Oftmals geht es einfach ums Überleben, weshalb ALLE, auch illegalisierte Sexworker Rechte brauchen und nicht nur privilegierte Sexworker mit deutschen Paß und Wohnsitz in Deutschland. Während der Corona Krise hat sich ja gezeigt, wer von Corona Hilfen und Grundsicherung ausgeschlossen war.
Üblicherweise interessiert sich der Staat nicht für Menschen ohne Steuernummer, was man auch beim Thema Wohnungslosigkeit beobachten kann.
Aber auch Sexworker am Straßenstrich müssen Steuern zahlen wie das Beispiel
Bonn zeigt. Der Straßenstrich bildet die sichtbare Prostitution in der Öffentlichkeit ab, über die Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Sozialarbeiter:innen gerne berichten, weil sie leichter erreichbar sind als jene, die im Verborgenen werkeln. So kommt das Bild von der „Elends- und Armutsprostituierten“ in die Welt. Das mediale Framing ist ja hauptsächlich geprägt durch das Thema Menschenhandel und Opfer von Zwangsprostitution. Die sog. freiwillig und selbstbestimmten Arbeiter:innen werden in diesem Narrativ unsichtbar gemacht, indem sie in diesem Zusammenhang kaum Erwähnung finden.
Es gibt selten eine ausgewogene Berichterstattung, die alle Perspektiven einbezieht und die Unterschiede und unterschiedlichen Herausforderungen für Sexworker berücksichtigt.
Am Straßenstrich sind soziale Probleme sichtbarer
Die mediale Berichterstattung über Straßenprostitution betrifft jedoch nur einen kleinen einstelligen Prozentsatz aller Sexworker in Deutschland, die am Straßenstrich arbeiten. Hier werden nur Probleme sichtbarer, da sie öffentlich auf der Strasse passieren, die es aber anderswo auch gibt. Über Sexarbeit im verborgenen wird selten berichtet. Auch weil die meisten Sexarbeiter:innen kein gutes Verhältnis zu Journalisten haben, die ihre Aussagen oft sinnentfremdet, mit Weichzeichner oder skandalisierend darstellen.
Unter dem Aspekt der Sicherheit und Gesundheit hat der Straßenstrich keine Zukunft, sofern er nicht an einem regulierten und geschützten Strichplatz ausgeübt wird. Die Verhandlungsposition der Sexworker auf der Straße ist weitaus schlechter als bei Kolleg:innen, die die deutsche oder englische Sprache beherrschen und in Interviews erklären, daß Sexarbeit ein Traumjob ist.
Das würde den meisten Kolleg:innen am Straßenstrich nicht im Traum einfallen. Man muß jedoch sagen, dass Sexarbeitende, die medial Auskunft geben, mit dem Rücken zur Wand stehen, wenn sie mit der Opferperspektive konfrontiert werden und sie wohl deshalb glauben, Journalisten beweisen zu müssen, wie selbstbestimmt sie handeln.
Der regulierte Strichplatz ist das Modell der Zukunft
Daher plädiere ich auch für die Einrichtung eines
Strichplatz nach dem Muster aus
Zürich, Essen und
Köln, wo Sexarbeit halbwegs geschützt und sicher vor (betrunkenen) jungen Männergruppen in
Sexboxen ausgeübt werden kann. Aus diesen Gruppen heraus finden die meisten Angriffe auf Sexworker, insbesondere Trans*Worker statt. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Dies ist offenbar nicht nur der stigmatisierten Sexarbeit geschuldet, die Huren zu Außenseitern macht und für die es das Schimpfwort "Nutte" und die Beleidigung "Hurensohn" gibt. Sondern auch Sexismus und Transfeindlichkeit. Dabei kann man gleichzeitig beobachten, daß heterosexuelle Männer gerne auch schon mal gleichgeschlechtlichen Sex wünschen oder eben Sex mit einer Trans*Person.
Transfeindlichkeit ist weit verbreitet
Offensichtlich führt dieser innere Widerspruch mit dem eigenen Selbstverständnis und hetero-normativen männlichen Selbst-Bild dazu, Trans*Menschen - nicht nur am Straßenstrich - zu beleidigen, zu bedrohen, zu verletzen oder gar zu töten.
Der Anteil getöteter Trans*Menschen unter den Sexarbeiter:innen weltweit ist enorm hoch.
Ein Problem am Straßenstrich sind auch die meist niedrigen Preise, die dazu führen, daß man sehr viele Kunden bedienen muß, um zu überleben. Allerdings gibt es auch Straßenstriche mit Standmieten und hohen Preisen - meist Touristenfallen - , wo betrunkene Kunden, meist Touristen, abgezogen werden.
Bordellverbote verdrängen Sexarbeit auf die Straße
An anderen Straßenstrichen wie in Paris werden ebenfalls niedrige Preise erzielt. Einfach schon aus dem Grund, weil dort Bordelle verboten sind und der Straßenstrich häufig die einzige Ausweichmöglichkeit für Sexworker ist.
Arbeitet man in illegalen Bordellen begibt man sich häufig in Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse und ist erpreßbar, weshalb professionelle Sexworker solche Orte meiden.
Deshalb ist die Straße auf den ersten Blick ein Befreiungsschlag für manche Sexworker. Seit Einführung des Sexkaufverbots in Frankreich 2016 müssen Sexworker allerdings zunehmend mit Zuhältern zusammen arbeiten, um überhaupt noch Kunden zu finden und um sich vor der zunehmenden Gewalt zu schützen.
Was kann man also tun, um den Straßenstrich sicherer zu machen? Diskutiert mit uns im Kommentarbereich.
Und nicht verpassen:
Written by Susi
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