Das Sex Work Film Fest fand am letzten Wochenende vom 8.-10. Juni in Hamburg statt. Als ich vor einigen Monaten davon erfuhr, habe ich sogleich meine Zugtickets bestellt und mich letzten Freitag für einige Tage nach Hamburg aufgemacht.  Das Centro Social in St. Pauli wurde für einige Tage in ein Festivalkino umfunktioniert. In St. Pauli und St. Georg ist Sexarbeit übrigens grösstenteils verboten. Was passiert bei einem Sex Work Film Fest? Welche Filme werden gezeigt? Es werden internationale Filme über den kulturellen Stellenwert der Sexarbeit aufgeführt, der Umgang von Politik und Gesellschaft damit kommt durch die individuellen Lebensgeschichten von Frauen, Männern und Transfrauen im Erotikgewerbe zum Ausdruck.  Viele Filme sind auch von Sexworkern selbst gedreht. Aussergewöhnliche Biografien werden dargestellt, der Kampf um Anerkennung und Respekt, einfach als Mensch wahrgenommen zu werden, eint uns alle. Die Kriminalisierung dieser besonderen Arbeit ist bis auf wenige Ausnahmen in so gut wie allen Ländern gegeben, mit fürchterlichen Konsequenzen. Die Forderungen nach Rechten, nach Würdigung dieser besonderen Tätigkeit, nach sicheren Arbeitsbedingungen, ist mit dem Ruf nach Legalisierung und Entkriminalisierung verbunden, damit wir sicher arbeiten können.

 

Bis auf wenige Länder, wo Sexarbeit reguliert d.h. unter bestimmten Auflagen legalisiert und rechtens ist, herrschen in fast allen Staaten dieser Welt Prostitutionsverbote. Über die Folgen und die Auswirkungen, auch über ihre ganz persönlichen Lebensgeschichten und Erfahrungen berichten Sexarbeiterinnen, Transfrauen und männliche Sex Worker rund um den Globus und aus allen Sparten des Gewerbes: über ihre Arbeit am Autostrich, im Bordell, als Escorts und Callgirls, auf der Strasse, in Table Dance-Clubs.

 

Die Filme aus Kanada, Indien, USA, Schweiz, Deutschland, Südafrika, Botswana, Namibia, Thailand, Niederlande, Spanien, Rumänien, Grossbritannien, Honduras, Ecuador, Italien, Frankreich waren allesamt gut ausgewählt. Einige der Filmemacher waren sogar vor Ort.

 

Das Publikum war zahlreich und staunte nicht schlecht, wo man es doch sonst mit vorgefertigten Bildern in den Medien zu tun bekommt, die uns als Opfer oder Kriminelle beschreiben. Die Medien, genauso wie Prostitutionsgegner und viele Ausstiegsexperten sowie “Menschenrechtsgruppen” aus der sog. Helfer-Industrie, lieben Sexworker hauptsächlich als "Opfer"; als Menschen mit vielfältigen Facetten, im Kampf um Selbstbestimmung und Selbstbehauptung, wollen sie uns kaum wahrnehmen. Selbstbewusste Menschen, die in der Erotik-Branche werkeln, sind für diese "Experten" offenbar uninteressant, eher langweilig, nicht der Aufmerksamkeit wert.

 

Auch unsere politischen Forderungen finden kaum Einlass in der veröffentlichten Meinung. Dies vereint ebenfalls unsere Erfahrungen auf aller Welt.

 

Daher ist ein Sex Work Film Fest nicht nur ein gesellschaftliches und seltenes Ereignis, es ist ein Ort, wo Realitäten in Bild und Ton gesetzt werden, die anderswo totgeschwiegen werden und nicht das Licht der Welt erblicken.

 

Da ist zum Beispiel "Frau Mercedes". Der Film portraitiert eine Frau in der Schweiz, die in gleichnamigen Auto am Autostrich zu Bern seit 35 Jahren anschafft; sie berichtet über das Altern am Strich und über die Veränderungen der Arbeitsbedingungen, sie talkt mit einem Ordnungshüter, der wohl ebenso lang dort regelmässig seine Kontrollrunden dreht. Man kennt sich, tauscht sich über die alten Zeiten aus, die Veränderung des Gewerbes, durch das Fenster, von Auto zu Auto. Frau Mercedes erzählt von ihren goldenen Zeiten. Was sie damit meint, erfährt man aus ihrem Fotoalbum, wo sie selbstbewusst auf der Kühlerhaube ihrer wechselnden Luxuskarossen sitzt. Darunter eine scharfe Corvette, wenn mich mein kurzsichtiges Auge nicht betrogen hat. Selbst bezahlt natürlich und nur vom Feinsten, wie auch ihre edlen Pelzmäntel, die sie auf vielen Fotos trägt. Privat vergnügte sie sich mit Frauen, die, wie sie sagt, elegant und schön sein mussten und nicht zu leicht zu haben waren. Frau Mercedes ist ein anrührender Film über eine starke Frau, die intensiv gelebt und geliebt hat. Den Trailer kann man hier sehen.

 

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=oUlQTbJTJWA

 

 

 

Zu erwähnen sei auch ein Film aus Thailand namens "Last Rescue in Siam" über thailändische Kolleginnen, die einfach nicht von Sozialarbeiterinnen gerettet und zwangsumgeschult werden wollen. In diesem Fall ist es dann die Arbeit an der Nähmaschine. Der Film ist als Stummfilm mit vielen ulkigen Einlagen angelegt, das Publikum hat sich kringelig gelacht. Hier ein Link zum Film. Leider ist der Film von Deutschland aus nicht zu sehen, aber falls ihr euch demnächst im Ausland auf Tour oder im Sommerurlaub aufhalten solltet, riskiert mal einen Blick!

 

Ein für mich persönlich sehr wichtiger Film ist die Dokumentation über die Sex Worker University 2011 in London, ein Ereignis, an dem ich letzten Herbst zusammen mit selbständigen Frauen und Männern aus der Erotik-Branche teilnahm und über das ich auch das Publikum in Hamburg informierte. Im Kaufmich-Blog ist dazu hier etwas zu finden.

 

Update: der Film "Gleiche Rechte", der in 17 Sprachen verfügbar ist, stammt vom europäischen Projekt Indoors, und wurde von und für Sexworker entwickelt.

 

http://www.youtube.com/watch?v=HmLWGehF-dY&feature=plcp

 

Übrigens, beim Gang zur Festival-Toilette hab ich dort eine interessante Entdeckung gemacht: eine Installation, ein Kunstprojekt namens "Fit im Schritt", eine interaktive Animation fand ich vor, die mitsamt köstlichen Comiczeichnungen darüber aufklärte, wie man sich die Muschi gesund hält. Ein Projekt von Huren für Huren über gesundheitliche Aufklärung. Angefertigt mit Liebe und Sorgfalt von einigen Hydra-Frauen, die im gleichnamigen Verein aktiv sind und am Folgetag auch einen Workshop für Sexworker veranstalteten. Hier wurde u.a. die Frage diskutiert, warum es eben etwas anderes ist, wenn Huren Huren unterrichten, informieren und unterstützen, als wenn es Sozialarbeiterinnen tun. Ja, es fühlt sich anders an, wenn man nicht als "Betroffene" wahrgenommen wird. He he ...

 

Ich muss wirklich sagen, mein Kompliment an das Organisations-Team und alle, die das Film-Fest möglich gemacht haben. Es war einfach grandios: nicht nur die sorgfältige Auswahl der Filme,  auch wir Sexarbeiterinnen wurden vor Ort nach Strich und Faden verwöhnt. Sei es Kümmern um unsere Übernachtung der Angereisten, der Barbetrieb, der uns mit Drinks versorgte und natürlich der Sexworker Only Brunch am Sonntag, wo leckere Köstlichkeiten aufgefahren wurden. Ich war durch einen Geburtstag bis zum frühen Morgen in St. Pauli auf den Beinen und wir feierten in einer abgefahrenen Transladies-Abschlepp Bar. Nach drei Stunden Schlaf war ich trotzdem die Erste, die sich vor Ort einfand und über das herrliche Buffet herfiel.Ein Ereignis, unvergesslich!

 

Written by Ariane G.


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Liebe Ariane, eine der größten Freuden an diesem Sex-Worker-Filmfest war, dass ich dich und auch noch weitere sehr spannende Kolleginnen dort kennengelernt habe. Dass es so viele intelligente, spannende und engagierte Frauen in unserer Branche gibt, hat mir einen großen Motivationsschub für meinen Job als Bizarrlady und Domina gegeben. Gleich nach dem Festival habe ich einen Beitrag in meinem BLOG darüber verfasst, den ich hier jetzt nicht auch noch veröffentlichen möchte. Wer Lust hat, kann ihn ja nachlesen: http://www.johannaweber.de/zartliche_Dominanz/DOMINA-BLOG/Eintrage/2012/6/15_Sexworker-Film-Festival_in_Hamburg_und_das_Kolleginnen-Fruhstuck.html Gruß aus der Schweiz, wo ich gerade am Dominieren bin, Johanna

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Habe bisher nicht allzu viel Zeit gehabt mich mit Euren Blogs etc . zu beschäftigen. Ich bin da heute mal so reingerutscht und möchte ein riesiges Lob für die Ernsthaftigkeit mit der die Sache hier betrieben wird sagen. Keine Profitgeile Oberflächlichkeit, ehrliches Bestreben sich mit der Thematik auseinander zu setzen ist mehr als deutlich Euren Aktivitäten zu entnehmen. Das ganze Thema kriminalisierung finde ich viel ernster als es teilweise genommen wird. Was ich sagen will, ich sehe es ganz genau so wie die "Macher" von Kaufmich. Das habe ich auch in einem Artikel zum Ausdruck gebracht den ich mal für einen Freund geschrieben habe der ein kommerzielles Erotikportal betreibt. Da war das Thema welches ich aufgegriffen habe ein Laufhaus und gedankliche Assoziationen dazu. Weil es so glaube ich zum Thema passt kopiere ich Ihn hier einfach mal als "Nachdenkstoff" zu dem von Euch angeschnittenen Thema rein, gewissermassen natürlich auch meine persönliche Betrachtungsweise. in diesem Sinne, viel Spass beim lesen, LG Rick Gedanken.....: Von Laufrädern und Laufhäusern..... und deren Gemeinsamkeiten und Unterschieden im "künstlerischen Bereich" soll dieser kleine literarische Ausflug in die Welt der Erotik handeln. Zunächst wollen wir beiden Dingen aus der Titelzeile einen gewissen Zusammenhang mit Bewegungsdrang unterstellen. Ordnen wir sinnvoller Weise an dieser Stelle das Laufrad dem Hamster zu, jenem niedlichem Haustier welches seit vielen Jahren Einzug in deutsche Wohn - u. Kinderzimmer gehalten hat, dann dient es diesem possierlichem Tierchen dazu einen (wenn auch traurigen) Ersatz für natürliches Lebensumfeld in freier Wildbahn zu finden. Hätte unser Hamster sein Laufrad nicht, würde er wohl bald an mit Bewegungsmangel begründeter Herzverfettung sterben. Er nutzt es also schlicht formuliert zu Steigerung seiner Lebensqualität. Um eine andere Form von Steigerung der Lebensqualität geht es freilich wenn wir uns dem zweiten Begriff aus unserer Titelzeile, den Laufhäusern zu wenden. Hätte die Hure unter anderem das Laufhaus nicht, würde Ihr Problem entgegen gesetzt dem des Hamsters liegen, Sie hätte nichts zu essen. Ihre Motivation sich in ein Laufhaus zu begeben ist also auch Bewegungsdrang, jedoch ist dieser von der Motivation her eben anders geartet. Doch der Reihe nach... ! Sollte dem einen oder anderen wenn auch geneigten Leser dieser Zeilen der Begriff Laufhaus nicht geläufig sein, so sei hier beiläufig (welch passender Ausdruck....) erwähnt, das es gewisser Maßen die "Hohe Schule" der in Deutschland möglichen Prostitutionsformen darstellt. Ja sicher, vorbei sind Kaisers Zeiten in denen sich die Damen diskret in den Hinterzimmern der Offizierscasinos aufhalten mussten, und über Dirnen, Mätressen, gelegentlich auch Freudenmädchen genannt, nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. Verglichen mit den heutigen im Volksmund kursierenden "Berufsbezeichnungen" für dieses Gewerbe findet der Verfasser dieser Zeilen die altherkömmlichen Begriffe doch etwas "gediegener". Wir reden heute ganz ungeniert über Huren, Hobbyhuren, Nutten und so weiter. Genau so ungeniert wie unsere Ausdrucksweise sich für dieses Gewerbe entwickelt hat, haben sich auch die Präsentationsformen eben dieses Gewerbes geändert. Es hat sich herausgezogen aus den verqualmten Hinterzimmern der Offizierskasinos aus Kaiserzeiten, in sicher vielleicht auch nicht weniger verqualmte Tabledancebars, Clubs und Bordelle in Haupt - und Nebenstrassen deutscher und auch anderer Städte. Bereits die wilden "Sechziger Jahre" läuteten diese Entwicklung, weg von verlogener Moral und Prüderie, hin zu freier Sexualität und dem Umgang mit dieser ein. Ob es letztlich alles so gewollt war das z. B. Pornohefte an der Tankstelle und anderen Ortes oftmals in Augenhöhe der Kinder angeordnet sind, ist fraglich, aber zumindest an der verlogenen Moral hat sich nicht viel geändert, dies ist aber auch nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Gehen wir doch einfach mal auf den eingangs erwähnten Bewegungsdrang ein, so stellen wir fest, das sich die moderne Hure heute neben den bereits erwähnten Clubs und Bordellen und Schaufenstern wie in der Hamburger Herbertstrasse z. B. zu sehen ist ganz anderer, viel offensiveren Präsentationsmethoden bedient um dem Freier es leichter zu machen sich von seinem mehr oder weniger sauer verdientem Geld zu trennen. Die letzte "Errungenschaft" des horizontalen Gewerbes (wenn wir hier mal von den modernen Medien wie Internet etc. absehen) sind Laufhäuser. Ganz unterschiedlich je nach baulicher Gegebenheit schlendern dort die Damen auf teilweise mehreren Etagen auf Terrassen, Gängen und Fluren dem Freier entgegen um sich meist sehr "offenherzig" zu zeigen. Ob das immer alles in den Bereich ästhetische Erotik fällt soll hier auch nicht näher beleuchtet werden. Auf jeden Fall ist "darstellende Kunst" des Erotikbusiness durchaus gesellschaftsfähig geworden. Im ehemals traditionellen Berliner Arbeiterbezirk Wedding, heute zur Berliner Mitte gehörend liegt das Freudenhaus Hase, in Berlins erstem und einzigem Laufhaus wird nicht nur nackte Erotik gezeigt, sondern wurde auch das Theaterstück "Freudendienste" aufgeführt, welches in der Berliner aber auch bundesweiten Presse durchaus Beachtung fand. Bereits im Jahre 2006 berichteten unter anderen "Focus", TAZ und "Berliner Morgenpost darüber. Nicht genug dessen, bereits seit 1996 finden dort unter der Überschrift " Kunst und Kultur im Bordell" regelmäßig Ausstellungen von verschiedenen Berliner und auch überregionalen Künstlern statt. Der richtige Trend um das vermeintliche "Schmuddelgewerbe" aus der Sudelecke heraus zu holen und dem geneigten und auch weniger geneigtem Betrachter nahe zu bringen. Und in Zeiten der Venus in Berlin, der weltgrößten Erotikmesse auch ein angenehmes Pendant um einfach mal ganz nüchtern auf die Dienstleisterinnen dieses Gewerbes aufmerksam zu machen, und vielleicht auch darüber zum Nachdenken anzuregen warum mit zunehmendem Trend alleine in Berlin schätzungsweise 7000 Frauen und Mädchen Ihre Dienste anbieten. Nicht alle sind ohne normalen bürgerlichen Job und bieten dort trotzdem Ihre Dienste an. Warum wohl ? Mit Sicherheit sind nicht alle Damen nymphoman veranlagt, und mit Sicherheit ist nicht jeder Freier ein wohlriechender Augenschmaus. Natürlich strömen auch viele Damen vornehmlich aus den neuen Mitgliedsländern unseres reichen Europa zu uns. Wir wollen nicht allen eine heimatliche Entwurzelung unterstellen. Wem, egal woher er oder Sie kommt fällt es schon leicht sein vertrautes Umfeld, Freunde und Familie hinter sich zu lassen ? Sollten wir vielleicht großen Konzernen mit Ihrer Billiglohnpolitik in fernen Landen, und, - um nicht so weit zu gehen, deutschen Zeitarbeitsfirmen und ähnlichen als Voreiter des Lohndumpings für die Bescherung von Tausenden Dienstleisterinnen im horizontalen Gewerbe danken ? Was das mit dem Laufrad und dem Laufhaus zu tun hat ? Eigentlich ganz einfach, wenn nicht die Politik und die Behörden die so gerne immer mal wieder gegen das Gewerbe den Finger erheben die Rahmenbedingungen für Armutsprostitution schaffen würden, dann hätten wir nur noch die Damen "Vor Ort" die sich tatsächlich echt für dieses Gewerbe berufen fühlen, und da das nicht mehr gar so viele wären könnten diese "Echten Huren" sogar wieder davon leben. Was die anderen machen würden fragen Sie ? Ganz einfach, den Hamster im Laufrad füttern, ein Haustier könnten sie sich dann ja leisten.... Rick B.

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[...] + + RESUMIERT: Wie gut das SexarbeitFilmFestival im Centro Sociale war, lässt sich auf dem kaufmich-Blog nachlesen. Danke für das schöne feedback! + + + ERINNERT: Hamburg bekommt ein Deserteurs-Denkmal. [...]

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