Und er kam zur passenden Zeit! Die Arbeitssituation in Grossbritannien ist jetzt schon unglaublich schwierig und riskant. Nun wird auch noch die Einführung des sog. ‘Schwedischen Modells’ dort ernsthaft diskutiert, genauso wie in Irland und Frankreich, und das bedeutet, den Sexkauf für Kunden zu bestrafen. Die Initiatorin, die schottische Labour Abgeordnete Rhoda Grant, und Prostitutionsgegner aus dem feministischen Lager, erhoffen sich dadurch, die Nachfrage nach erotischen Dienstleistungen einzudämmen und Prostitution auf magische Weise zum Verschwinden zu bringen. Irre! In fast allen Ländern der Welt mit Prostitutionsverboten und einer Politik, die Sexworker und/oder Kunde bestraft, ist Prostitution nie verschwunden, sondern hat nur gefährlichere Arbeitsbedingungen geschaffen. Auch in Schweden, wo diese Idee ja erfunden und 1999 eingeführt wurde. Gemein: man hat der Beratungsstelle Scot-Pep den Geldhahn zugedreht, weil sie sich kritisch zu geplanten Gesetzesänderungen geäussert haben. Es gab noch eine weitere Enttäuschung: Trotz vorheriger Zusage, einen Tagungsraum für unser Politik-Forum zur Verfügung zu stellen, sagte die schottische Gewerkschaft STUC ganz kurzfristig ab. Ignoriert wurde auch, dass einige von uns selbst Mitglied einer Gewerkschaft sind. Und zwar als Sexworker. Da war natürlich politischer Druck dahinter. Glücklicherweise fanden die Veranstalter kurzfristig einen anderen Veranstaltungsort und mein Dank gebührt dem Kinning Park Complex, ein Zentrum mit interessanter Geschichte. Trotzdem: wir alle waren natürlich entsetzt und enttäuscht und organisierten kurzfristig eine Demo, die auch viel Presseecho fand.
Es gab drei Schwerpunkte des Festivals:
Die Öffentlichkeit für die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit zu gewinnen, für unsere Interessen, Menschen- und sozialen Rechte zu sensibilisieren, politische Alternativen zu entwickeln, weshalb wir dem Thema Entkriminalisierung einen ganzen Tag mit Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen widmeten. Und natürlich Sexworker zusammen zu bringen, um sich auszutauschen und in geschützten Räumen frei zu sprechen. Dies ist umso notwendiger, da doch viele gezwungen sind, isoliert voneinander zu arbeiten und auch Internetforen keinen echten Schutz für persönlichen Austausch und vor unliebsamen Gästen bieten. Dabei ging es auch um Sexworker-Tabus, über die - wie es der Name schon sagt - innerhalb der Szene ungerne gesprochen wird, aus Angst, Prostitutionsgegnern mit ihren kruden Forderungen Munition zu liefern, aber auch aus Angst, sich zu Eigenschaften oder Erfahrungen zu bekennen, die tabuisiert sind: dazu gehören schlechte Arbeitsbedingungen, negative Erfahrungen mit manchen Betreibern und Kunden, Redeverbote verhängt durch andere Sexworker, Auswirkungen von Sexwork auf private Beziehungen und Partnerschaft, Ausstiegswünsche, Gewalterfahrung, Gelddruck, Schulden, Drogen-und Alkoholprobleme, Geschlechtskrankheiten, ungewollte Schwangerschaft, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Fragen und Konsequenzen rund ums Outing.
Dazu passte auch ein zweitägiger Workshop zum Thema Stigma, ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um Fähigkeiten zu erlernen, die einem helfen können, mit dieser stigmatisierten Arbeit umzugehen, aber auch, um sich Grundlagen und Fähigkeiten anzueignen, dieses Know-how an interessierte Gruppen weiter zu vermitteln. Dieser Workshop wurde von Expertinnen aus Kanada geleitet, die dafür extra anreisten. Stigma ist deshalb so wichtig, da es ein wesentlicher Grund für die genannten Tabus ist. Aus meiner Sicht nützt es Sexworkern gerade nicht, diese Realitäten, die es auch gibt, einfach als Vorurteile, Stereotype, Mythen und Klischees abzutun und ganz auf die Pretty Woman-Schiene zu setzen. Der Preis, Kunden nicht verunsichern zu wollen, und der Preis für Imagepolitik ist hoch. Man sollte schon die gesamte Bandbreite der Realitäten betrachten. Es gibt mehr oder weniger privilegierte Sexworker und es gibt sehr viele, die aufgrund ihrer Herkunft und Arbeitsorte diskriminiert werden. Und so zeigen viele mit dem Finger auf andere, so wie in der Medienberichterstattung meist nur auf die sichtbare Prostitution die Scheinwerfer gerichtet sind. Dabei geht es um selbst gewählte Entscheidungen unter einer Anzahl an Handlungsoptionen. Und diesen Wunsch nach Autonomie und finanzieller Unabhängigkeit kann einen keiner nehmen. Auch keine durchgeknallten Prostitutionsgegner, die sich die niederträchtigsten Tricks einfallen lassen, dieses Recht zu leugnen. Vor allem aber geht es den meisten Wohl-Täterinnen eben nicht um das Wohl ihrer bevormundeten Zielgruppe. Sonst würden sie nämlich an ihrer Seite stehen und die Forderungen internationaler Sexworker-Aktivisten ernst nehmen und helfen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen für viele von uns zu verbessern.
Der dritte Schwerpunkt war also der Politik und der Auseinandersetzung mit Prostitutionsgegnern gewidmet. Direkt nach der Demo am Mittag ging es zur ganztägigen Diskussionsveranstaltung rund um das Thema Entkriminalisierung. Entkriminalisierung bedeutet zunächst einmal die Forderung, nicht mit Strafrecht Sexarbeit und SexarbeiterInnen zu bekämpfen. Dies ist auch in Deutschland in vielen Fällen Realität. Ein Beispiel sind die in verschiedenen deutschen Städten geltenden sog. Kontaktverbote, um Sperrbezirksverordnungen durchzusetzen. Dies muss nicht immer nur für den Straßenstrich wie bspw. in Dortmund gelten; die Innenstadt von München ist für alle Formen des Gewerbes tabu, inkl. Haus- und Hotel-Besuche.
Es waren starke Interessenvertreterinnen für Sexarbeiter-Rechte zu Gast: die meisten selbst aktive oder ehemalige Sexworker, die uns mit den aktuellsten Entwicklungen aus Schottland, England, Schweden, Australien, Neuseeland und Frankreich versorgten. Schwerpunkt war die unterschiedliche Rechtslage vor Ort und die konkreten Auswirkungen auf unsere Arbeit.
Unbedingt erwähnen muss ich das Projekt x-talk London, das Sprachkurse und andere Unterstützungsangebote für Migrantinnen in der Sexarbeit organisiert. Natürlich ist das Projekt von Sexworkern organisiert. Das bräuchten wir in Deutschland auch!
Zunächst aber wurde das Festival mit einer internationalen Filmnacht eröffnet, mit komischen und nachdenklichen Filmen und Dokumentationen, die von SW-Gruppen und Aktivisten selbst produziert wurden. Zum öffentlichen Teil gehörte auch eine Abendveranstaltung, zu der Interessenvertreter weiterer politischer Gruppen geladen waren, um Kontakte zu knüpfen, Allianzen zu schmieden und sich zukünftig gegenseitig zu unterstützen. Dazu zählten Abgeordnete verschiedener Parteien und Gewerkschaftler, einige Feministinnen, Sprecher und Sprecherinnen aus der LGBT-Gemeinschaft - das Kürzel LGBT vereint lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Personen, die leider immer noch diskriminiert, in vielen Fällen angegriffen werden - und Vertreter weiterer Gruppen, z.B. Migranten, die ähnliche Erfahrungen machen. Und viele Leute in der Sexarbeit sind sowohl das eine, als auch das andere.
Ein Ziel dieses Festivals war vor allem der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass Sexworker die gleichen Rechte fordern, wie sie für andere als selbstverständlich gelten. Die Anerkennung von Grund- und Menschenrechten und die Anerkennung, eine Arbeit frei zu wählen und diese besondere Dienstleistung nicht als Verbrechen einzustufen. Die Konsequenzen der Anerkennung als Arbeit wären bspw. das Recht auf gute Arbeitsplätze, Arbeits- und Gesundheitsschutz, wie sie für alle Arbeiter und Arbeitnehmer auch gelten sollen; die Möglichkeit als Selbstständige, gemeinsam und geschützt zu arbeiten. Dies ist nämlich in Grossbritannien verboten. Eine Wohnung, wo schon zwei Sexworker zusammen arbeiten, gilt als Bordell und ist verboten. In Frankreich ist es ähnlich.
Und dieser Weg zu weniger Stigma, zu mehr Schutz und Sicherheit in diesem besonderen Job, führt zunächst einmal nur über die vollständige Entkriminalisierung von Sexarbeit, also derjenigen, die sie ausüben. Dadurch, so zeigen die Beispiele Neuseeland und New South Wales in Australien, gelingt es am besten, Kriminalität und ausbeuterische Arbeitsbedingungen aus dem Gewerbe rauszudrängen, gesündere und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und ein Preisniveau zu halten. Und das gesellschaftliche Stigma und Selbst-Stigma zurückzudrängen hätte erhebliche Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Sexworkern. Interessant war auch der Hinweis, dass die Entkriminalisierungspolitik im Bundesstaat New South Wales Korruption reduziert habe. Ich muss hinzufügen, dass in den verschiedenen Bundesstaaten Australiens ganz unterschiedliche Gesetzgebungen gelten und alle Modelle durchexerziert werden, die ich kenne: Kriminalisierung = generelles Sexwork-Verbot, Lizensierung (das, was die aktuelle Bundesregierung und viele Interessenvertreter fordern und in den Niederlanden bereits von wenig Erfolg gekrönt ist) und schliesslich das Modell Entkriminalisierung. Und dann gibt es Bundesstaaten mit einem Mischmasch aus all den drei Modellen. Ja, ist kompliziert, lohnt aber, darüber nachzudenken, um den besten Weg zu finden.
Das absolute Gegenteil zu dem Positivbeispiel Neuseeland ist beispielsweise in Frankreich und anderen Ländern der Fall, wo Sexarbeiter Unterdrückung und permanente Verfolgung erfahren. Die U.S.A. liegen hier an der traurigen Spitze. Verbote und soziale Ächtung verstärken nur das Risiko, Opfer von Gewalt und Ausbeutung zu werden. Dies ist natürlich auch für Deutschland relevant, wo die Legalisierung bislang nicht die gewünschten Auswirkungen für die Mehrheit aller Sexworker gebracht hat. Ganz einfach deshalb, weil sich seit Einführung des Prostitutionsgesetzes nicht so viel geändert hat, ausser das Geschäftsverhältnis zwischen Sexarbeiterin und Kunde zu regeln und das Einklagen des Hurenlohns möglich zu machen.
Der Fall Schweden zeigt, dass das dort eingeführte und deshalb so bezeichnete 'Schwedische Modell' gescheitert ist. Das Geschäft hat sich dorthin verlagert, wo Sexarbeiter in der Regel für Hilfsangebote unerreichbar sind, desweiteren sind gewalttätige Übergriffe gestiegen. Man kann also nicht behaupten, dass das Schwedische Modell hilfreich für SexarbeiterInnen ist, gar ein in Europa nachahmenswertes Vorzeigemodell ist. Und das soll ja der Sinn gesetzlicher Regelungen sein. Ein Vortrag zu Schweden war übrigens von Jay Levy von der Uni Cambridge zu hören, der uns Ergebnisse seiner Doktorarbeit zum Thema vortrug. Alles in allem hat es mich weiterhin in meiner Auffassung und Forderung bestärkt, auf die vollständige Entkriminalisierung zu setzen. Und ich stehe nicht alleine damit, sondern bin Mitglied einer weltweiten Bewegung von Sexworkern und Verbündeten, die genauso denken und dies auch fordern, einschliesslich des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon.
Jetzt ist Schluss für heute. Etwas trocken das Ganze, aber von ungeheurer Wichtigkeit. Ich danke Euch fürs Lesen. Für weitere Fragen stehe ich gerne hier im Blog zur Verfügung.
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