Und Künstler? Sie produzieren Werke, ihr Wert wird durch vielerlei Unwägbarkeiten, Glück, Spekulation bestimmt, Bereiche, auf denen sie selbst noch den geringsten Einfluss haben, ausser sie liefern Auftragsarbeiten und was der Markt nachfragt. Immerhin bleibt ihr Werk mit ihrem Namen verbunden, während das Werk einer Sexarbeiterin eine vergleichsweise flüchtige Angelegenheit ist, eine Momentaufnahme, vergleichbar mit dem Schauspiel am Theater. Intensive Momente, jeder Abend ist anders, jedes Publikum reagiert anders. Und die Kritiker schreiben jemanden mal hoch, mal runter, ähnlich wie Autoren von Erfahrungsberichten und völlig subjektiv. Käufer, Bucher sexueller Dienstleistungen. Es gibt noch eine Gemeinsamkeit: meist werden beide, Hure oder Künstler, mitleidig angeschaut, weil ihre Existenzweise so garnicht ins Normengefüge passen will. Sie werden, bis auf berühmte Ausnahmen, wie Paria behandelt, weil ihre Lebensstile sich der Konvention entziehen. Daher gibt es zwischen vielen Huren und Künstlern, historisch betrachtet, enge Verbindungen und Orte, wo sich ihre Wege kreuzen.
Viele Bürger und Bürgerinnen sind ausgeschwärmt, um gemeinsam dieses Projekt zur Welt zu bringen, ganze Familien mit Kindern waren beteiligt und haben monatelang Millionen von Preisetiketten in der ganzen Stadt verklebt. Die Idee der Künstlerin muss alle überzeugt haben. Aus meiner Sicht ist diese ganze Aktion auch eine starke Solidaritätsbekundung für die Rechte von SexarbeiterInnen und ein gutes Zeichen. Woanders treten die Kommunen den Sexworkern in den Hintern, in Hannover wird ihnen eine Bühne geboten.
“Strich-Code” ist so hübsch doppeldeutig, wie das Thema selbst. Der eigentliche Strichcode auf Preisschildern ist ja der sogenannte Barcode, der von den Verkäufern eingescannt wird. Und der Strich - Strassenstrich - spielt hier eine starke Rolle, weil er nicht nur Strasse, sondern Prostitution und die sog. käufliche Liebe insgesamt assoziiert.
Eine Message könnte nach der ersten Sichtung der Ausstellung sein, das Preisetikett bitte nicht mit seiner Trägerin zu verwechseln, deren Körper und Seele nämlich gar keine Ware ist. Yupp, das sagen auch alle Escorts und Anschaffbräute, die ich persönlich gut kenne. Mich selbst als “Ware” zu begreifen? Dafür fehlt es mir und anderen offenbar an Fantasie.
Zur Ausstellung selbst:
Der öffentliche Raum ist einer von drei bespielten Bühnen, also Ausstellungsräumen, In- und Outdoor: der Table-Dance-Club “Hands Off” (1), 10 Minuten vom Historischen Museum (2) per pedes entfernt, dazwischen liegt die Strasse, die hübschen Gassen, viel Fachwerk, der öffentliche Raum. (3)
Zwischen Table-Dance Club und Museum verläuft eine Nabelschnur aus Preisetiketten, auf den Gehwegen, dem Strassenpflaster, auf den Schaufenstern von Ladengeschäften, an Strassenlaternen haftend.
Bei der Ausstellungseröffnung am letzten Sonntag waren die Schwärmer und ein Teil der Gäste selbst mit Preisschildern beklebt, auch die beiden tollen Sexarbeiterinnen Dassy und Thalia. Sie beide sind Kunstwerke in der Ausstellung, sie selbst stellen sich im Historischen Museum aus, als Frauen und Sexarbeiterinnen. Wieviel Grösse und Mut dazugehört, sich öffentlich zu seinem Job zu bekennen, und dies vor einer Meute von Journalisten und bürgerlichem Publikum, vermag kaum jemand nachzuvollziehen, der das nicht selbst durchlebt hat. Man weiss auch nicht wirklich, welche Konsequenzen auf einen zukommen, welche Nachwirkungen all das hat, zu welchen Konfrontationen es kommen kann. In diesem Fall waren die Reaktionen bei der Eröffnung durchgängig positiv, wie ich vor Ort feststellen durfte, das Publikum sehr wertschätzend, auch im Gespräch über das Thema Sexarbeit.
Die Räume werden also getauscht, im Innenhof des Museums wird ein fiktiver Rotlichtbezirk hergestellt, der Table Dance Club wurde zum Museum erklärt. Und warum das alles? Fragt sich der unschuldige Besucher. Um Käuflichkeit in der Gesellschaft insgesamt zu thematisieren. Nicht nur in bezug auf Sex und Kunst. Wie wird etwas zur Ware gemacht und warum erhalten Menschen Warencharakter, wenn man von ihrer Käuflichkeit spricht? Um die Menschen, die Werke hervorbringen bzw. die ausserhalb ihrer Dienstleistung als Objekte wahrgenommen werden neu zu entdecken? Der Maler Vincent van Gogh, wie die Künstlerin Kerstin Schulz im beigefügten TV-Bericht anmerkte, lebte von der Hand in den Mund. Er konnte sein Überleben nur durch gelegentliche Zuwendungen seines Bruders Theo sichern, wie heute viele Künstler als sog. Aufstocker von Hartz IV leben müssen. Wie auch manche Sexarbeiterinnen gelegentlich "aufstocken" gehen. Weil ihre Arbeit nicht immer Profit abwirft, obwohl sie permanent produzieren bzw. sich verfügbar halten. Van Goghs Bilder werden heute in dreistelligen Millionenwerten gehandelt, er selbst hat nur ein einziges Bild zu Lebzeiten verkauft. Ähnliches ginge über den Maler Cézanne zu sagen, der zu Lebzeiten von der Kunstkritik ebenfalls ausgepfiffen wurde und seine allererste Ausstellung in recht hohem Alter hatte. Heute gilt er als Wegbereiter der klassischen Moderne. Abwertung, Aufwertung, die Preisbildung der "Kunstblase" bleibt selbst dem berühmtesten deutschen Maler Gerhard Richter verschlossen, dessen Arbeiten in schwindelerregenden Höhen gehandelt werden und der sich lieber abseits vom Kunstmarkt und Szenen aufhält, wie er in einem Interview mal sagte. Gut verdienen tun meist die anderen, die Händler, Agenturen und Galeristen, später, wenn die Künstler selbst schon lange unter der Erde liegen und die Radieschen von unten betrachten.
Und wer verdient an der Sexarbeit am meisten? Diese Frage kann ja jeder für sich beantworten. Sexuelle Dienstleistung bedeutet jedenfalls, dass eine Sexarbeiterin nicht sich und ihren Körper verkauft, sondern ihre Zeit und besondere intime Services, die sich nicht nur auf Sex beschränken. Leider Gottes, oft absichtsvoll, wird sie häufig mit dem Preisetikett selbst verwechselt, den sie für ihre Arbeit aufruft. Da läuft in der Wahrnehmung ganz schön was schief, da braucht man auch keine Bücher von Georg Simmel oder Jochen Hörisch bemühen oder den Fetisch-Charakter nach Karl Marx. Einen Menschen zu einem Ding machen, zu einem Objekt, geht von konkretem Handeln, von der Aussenperspektive und Diskurs, dem gesellschaftlichen Gespräch über Sexarbeit aus, das wir mit der Muttermilch aufsaugen, und Bedeutung schafft, in denen wir denken, Normen, Regeln, die etwas einem Wert oder Unwert zuschreiben. Es tun sich da viele Fragen auf, die ich hier garnicht alle stellen kann, geschweige beantworten. Einfach selber darüber nachdenken, insbesondere bei einem Besuch dieser grossartigen Ausstellung. Die Fragen stellt, die die Grundfeste unserer Gesellschaft und damit auch unseren Umgang unter einander berührt.
Ich zumindest fühle mich in meinen Wertvorstellungen über mich als Escort, Hure weitaus wohler und im grünen Bereich, denn als Wissenschaftlerin oder Bankerin, die trotz hohem sozialen Status ziemlich viel Kappes produzieren, und in der Konsequenz nicht unbedingt einem guten Miteinander dient, in vielerlei Hinsicht sogar zerstörerisch. Die meisten Kundenmänner, die ich traf, können durchaus zwischen Barcode und meiner Person unterscheiden, ohne mich zum Objekt zu degradieren. Vielen Kritikern von Prostitution ist diese Gabe nicht gegeben.
Weitere Informationen und Links zum Nachlesen und Anschauen für Leute, die niemals ihren Fuss in die Stadt Hannover setzen oder in den nächsten Wochen nicht nach Hannover reisen:
TV http://www.arte.tv/de/6921110.html http://www.youtube.com/watch?v=ormWT0fd9bw
http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/hannover/strichcode103.html http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/hannover/strichcode103.html hallo Niedersachsen v. 12.9.2012 NDR (Mediathek Fernsehen) Sendeminute 20:34-24:38
Presse http://www.neuepresse.de/Nachrichten/Kultur/Uebersicht/Strich-Code-ein-Projekt-der-Kuenstlerin-Kerstin-Schulz
“Vor uns muss niemand Angst haben”, he he der Titel der Printausgabe ist von mir aus meiner Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung zitiert *knurr*
online lautet der Titel des gleichen Artikels: Kunst und Rotlicht üben Rollentausch
http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Kunst-und-Rotlicht-ueben-Rollentausch
ein Interview mit meiner Kollegin Thalia
http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Kunstprojekt-bringt-Prostituierte-ins-Museum
Darstellung des Projekts http://www.hannover.de/hist_museum/sonderaus/Strichcode/index.html
http://www.hannover.de/museen/data/meldungen/2012/2012_06/120619_strich_code.html http://strichcodehannover.wordpress.com/