Was ist Sexwork, Sex Worker? Das Wort "Sex Worker" bezeichnet im englischen Sprachraum, zunehmend international, alle Leute, die mit Sex Geld verdienen, also die ganze Erotikbranche, ob Stripper, Porno-Darsteller und Webcammer, Callboys, Transgirls, Escorts, Männer und Frauen, die am Strassenstrich arbeiten oder in der Wohnung, im Bordell oder Hotel, im Dominastudio. Sexwork ist eine Wortschöpfung aus den eigenen Reihen und wurde von einer amerikanischen Kollegin namens Carol Leigh kreiert, und fasst alle zu einer Gruppe zusammen, auch international, die für Rechtssicherheit und gegen Prostitutionsverbote streiten, gegen die gesetzliche Kriminalisierung ihres Berufes, gegen Kunden- und Polizeigewalt aufbegehren. Daher hat sich international der Begriff "Sexwork" in der Szenesprache weitgehend durchgesetzt, weniger in der deutschen Übersetzung im deutschsprachigen Raum, wo der Begriff für viele Ohren neu und fremd ist.
Eines der Kennzeichen dieser globalen, sozialen Bewegung aus engagierten Leuten ist der rote Schirm, der Schutz symbolisiert und natürlich die Farbe Rot mit dem sog. "Rotlicht" verbindet, aber auch mit der Farbe der Liebe: Wenn man es genau betrachtet, geben viele Sexarbeiterinnen Liebe in Form von Zärtlichkeit, Zuhören, Gesprächen, nicht nur Erotik.
Das Wort Prostitution wird meist politisch, wissenschaftlich und in den Medien als ausgrenzender Begriff verwendet und viele von uns lehnen ihn daher ab. Es gibt im deutschen keinen übergeordneten Fachbegriff für Frauen und Männer, die im Erotikgewerbe arbeiten, nur wenige trauen sich, sich selbst als Sexarbeiterin zu bezeichnen, da es sehr nüchtern und professionell klingt und nicht geheimnisvoll oder interessant wie die Selbstbezeichnung Hobbyhure oder Escort, die bei Werbung Sinn macht.
Dabei ist das Wort ja dafür gedacht, sich selbstbewusst als Gruppe öffentlich zu äussern, um soziale Rechte zu erstreiten und um sicher und selbständig arbeiten zu können; aber auch, um dem Stigma zu entgehen, dass einem üblicherweise begegnet, wenn wir auf unseren Job oder Nebenjob zu sprechen kommen. Die allermeisten tun das bis heute nicht, da es sich im Regelfall nachteilig für sie auswirkt, ob in der Familie, unter Freunden, Arbeitgebern, in Beziehung und Partnerschaft, unter Arbeitskollegen, auch Leuten an der Uni, mit denen man studiert. Man darf es wirklich nicht unterschätzen: Viele Frauen und Männer in diesem Job wollen oder können sich nicht outen und finden oft niemandem zum Erfahrungsaustausch.
Natürlich gibt es virtuelle Plattformen, wo man sich trifft und Gehör findet, aber Events dieser Art, wo ganz viele Frauen und Männer aus unserer Branche zusammenkommen, um sich in einem geschützten Raum auszutauschen, ist noch einmal etwas ganz anderes als der virtuelle Austausch im Netz.
Daher bin nach London gereist, um Bekannte, aber auch neue Leute zu treffen. Bei solchen Events oder Konferenzen nehmen meist auch ehemalige Sexworker teil sowie interessierte Ausstehende und Verbündete, mit gemeinsamen Zielen und Interessen, auch Leute, die sich politisch, akademisch, im Bereich der Sozialarbeit engagieren. Bestimmte Veranstaltungen sind nicht öffentlich und nur den Sexworkern vorbehalten. Einzelne Gewerkschafter und Politiker wurden ebenfalls gesichtet, wie auch manch engagierter Kunde, z.B. ein Mann, der ein Buch über seine Erfahrung als Kunde schreibt und mir gegenüber erklärte, warum wir Huren netter seien als seine Mutter *gg*. Heutzutage schreiben nicht nur Callgirls oder ehemalige Huren Bücher, Blogs und sich manches von der Seele, auch Kunden werden mit intelligenten und witzigen Blogs im Internet sichtbar, vor allem in den USA.
Es war das 2. internationale Event dieser Art in London, die erste SWOU fand im Frühjahr 2009 statt. Auch diesmal kamen Sexarbeiterinnen aus der ganzen Welt zusammen, diesmal aus Frankreich, Dänemark, Japan, USA, Schweden, Israel, Deutschland, Bangladesch, Holland, Lettland, Kanada, Portugal, der Türkei und natürlich aus Grossbritannien. Einige von uns arbeiten als Migranten in England, andere touren durch viele Länder. Manche sind extra angereist, andere arbeiten ausschliesslich in London, einige bei Beratungsstellen und in politischen Gruppen, die sie gegründet haben.
Auch in anderen Ländern, z.B. USA, Kanada, Frankreich, Indien, Australien gibt es in Abständen Konferenzen, wo sich Einheimische zumeist über die Arbeitssituation austauschen, über rechtliche Fragen und Probleme, die dieser Job mit sich bringt, insbesondere dort, wo Sexwork verboten ist. Also in den meisten Ländern dieser Welt.
Das Begleitprogramm dieser Konferenz enthielt auch einen wunderbaren Performance-Abend in einem Zirkus-Zelt mit erstklassigen Darbietungen von Sexworkern, die sich auch der Kunst verschrieben haben, die teils sehr witzige, in jedem Fall einzigartige Vorstellungen darboten. Auch selbst gedrehte Kurzfilme wurden gezeigt, aus den USA, der Türkei, aus den Niederlanden, wo Frauen in sechs eigenständigen Kurzfilmen ihre Sicht auf den Amsterdamer Rotlichtbezirk und ihren Joballtag schilderten und nach einer langen Wanderung, teils von Südamerika und anderen Kontinenten kommend, dort ihre Heimat fanden.
Diese Mischung aus Vorträgen, aktuellen Länderberichten zur Arbeitssituation vor Ort sowie lehrreichen Workshops zu den Themen Gesundheit, Familie und Partnerschaft - viele von uns sind Mütter mit Familie, in Partnerschaften lebend - , Grenzziehungen, Safer Sex, Kunden mit Behinderung, Selbstverteidigungstechniken, Mediencoaching für einen professionellen Umgang mit Journalisten uvm. standen auf dem Programm und wurde von einer Demo am Londoner Parlament gekrönt. Nachzulesen in folgendem Zeitungsartikel in der Tageszeitung "Die Welt", wobei der Titel wieder einmal irreführend ist. Unterrichtet an der "Hurenuni" haben sich nämlich nur die in der Sexarbeit aktiven Teilnehmer gegenseitig.
Es gibt eine Tradition in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt, wo sich Gruppen aktiver Sexworker zusammengeschlossen haben, für ihre Rechte kämpfen und sich öffentlich Gehör verschaffen. Auch Deutschland hat eine Tradition der Hurenkonferenzen, um die es seit Einführung des Prostitutionsgesetzes still geworden ist, die Legalisierung mag mit ein Grund sein, warum das öffentlich-sichtbare Engagement zurückgegangen ist.
Einiges rumort aber im Netz, wo es engagierte Leute gibt, die sich politisch einmischen und auch auf Missstände in ihrem Arbeitsumfeld hinweisen, die es zweifellos auch in Deutschland gibt. Hier sei das Sexworker Forum empfohlen, das im deutsch-sprachigen Raum einmalig ist. Es ist kein Freier- oder Werbeforum, sondern ein Forum, dass sich an Sexworker aus allen Sparten des Gewerbes, aus Österreich, Deutschland und der Schweiz richtet, Hilfestellung zu vielen Fragen rund um das Gewerbe gibt, über politische Ereignisse und gesetzliche Neuerungen informiert, aber auch kurzweilige Unterhaltung bietet. Sei es lokal, wie kürzlich die Einführung des Steuertickets am Bonner Strassenstrich, die unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern sowie internationale Länderberichte. Selbst viele ausländische Kolleginnen, die hierzulande arbeiten, surfen gelegentlich vorbei wie auch einige engagierte Männer, Aussenstehende wie auch Kunden, die Hinweise geben, z.B. bei juristischen oder steuerlichen Fragen.