Lynzi, Du hast in den letzten Jahren viel geforscht, auch eine Doktorarbeit über Sexarbeit abgeschlossen. Was sind Deine Interessengebiete? Ich unterrichte im Bereich Kriminologie und ich bin sehr interessiert auf dem Gebiet der Rechte von Sexworkern und wie Politik und Gesetze sich auf die SexarbeiterInnen auswirken, besonders in Bezug auf ihre Sicherheit. Für meine Doktorarbeit habe ich über Sexworker am Strassenstrich geforscht und wie Entkriminalisierungspolitik sich auswirkt, ganz konkret wie Sexworker mit dem Gewaltrisiko umgehen.
Kürzlich hab ich mich auf das Stigma konzentriert und ich denke leidenschaftlich darüber nach, wie man das Stigma und die Diskriminierung von Sexworkern reduzieren kann. Ich interessiere mich auch sehr für die Rechte von MigrantInnen in der Sexarbeit und wie sich Politik und Gesetze auf sie in Bezug auf ihre Reisen und Touren auswirkt.
Für das Prostitutionsgesetz in Neuseeland wurden auch Sexworker in die Beratungen einbezogen? In welcher Hinsicht genau? In Neuseeland haben wir eine sehr starke Sexworker Organisation, das New Zealand Prostitutes Collective (NZPC). Man kann klar sagen, dass die Entkriminalisierung von Sexarbeit in Neuseeland niemals ohne die Arbeit des NZPC erfolgreich gewesen wäre. Sie arbeiteten sehr hart an der Gesetzesänderung und waren direkt einbezogen in der Entwicklung des Gesetzesentwurfes. Das bedeutet aber nicht, dass das Gesetz aus ihrer Sicht perfekt ist, aber das Sexworker in den Gesetzgebungsprozess einbezogen wurde und ihnen zugehört wurde. Dies ist ein ungewöhnlicher Ansatz, den man da genommen hat.
Welche positiven Auswirkungen hat Entkriminalisierung für die Rechte und Schutz von Sexworkern? Es gibt eine Anzahl positiver Auswirkungen. Sexworker haben eine grössere Flexibilität in Bezug auf den Ort und mit wem sie arbeiten. Sexworker können auswählen, in einem Bordell zu arbeiten, auf der Strasse, privat von ihrem Zuhause oder anderen Wohnungen, oder sie können zusammen bis zu einer Anzahl von vier Sexworkern zusammenarbeiten, ohne dass das als Bordell definiert wird. Diese Flexibilität ist sehr wichtig, damit Sexworker in einem Arbeitsumfeld arbeiten können, dass sie bevorzugen und ohne, dass sie das Gesetz brechen. Auch ohne die Last komplizierter Regeln. Das Gesetz erlaubt Sexworkern, ausbeuterische Arbeitsbedingungen strafrechtlich zu verfolgen. Im Jahr 2014 gewann eine Sexarbeiterin einen Fall von sexueller Nötigung seitens eines Bordellbetreibers, etwas was vor der Einführung von Entkriminalisierung sehr unwahrscheinlich war.
Wissenschaftliche Forschung hat seit der Einführung der Entkriminalisierung eine Anzahl positiver Effekte herausgefunden. Zum Beispiel hat eine Studie über die Auswirkungen von Entkriminalisierung herausgefunden, dass 95% der SexarbeiterInnen, die an der Studie teilnahmen, sich bewusst waren, welche Rechte sie haben. Die Forschung zeigte auch, dass 60% von Sexworkern nun selbstbewusster Kunden ablehnen konnten. Das Gesetz hat auch positive Entwicklungen für die Arbeit am Strassenstrich mit sich gebracht: seit Einführung der Entkriminalisierung hält die Polizei nach ihnen Ausschau, besonders im Hinblick auf ihren Schutz und Sicherheit hat sich das Verhältnis zu ihrem Vorteil verbessert. Aber einige Sexworker sagen immer noch, dass sie Gewalt nicht zur Anzeige bringen würden. Entkriminalisierung hat es ihnen aber ermöglicht, Kunden sorgfältiger zu prüfen (Kundenscreening), da das Arbeitssetting sich positiv auswirkt. Sexworker können offen ihren Service ansprechen, den sie anbieten, sowohl indoor als auch outdoor auf der Strasse. Sie können sich für die Kundenprüfung Zeit nehmen und müssen sich nicht mehr beeilen.
Du sagst, dass die vollständige Entkriminalisierung als ein Anfang betrachtet werden kann, nicht als endgültige Lösung. Welche Änderungen, Herausforderungen sind weiterhin nötig? In der Vergangenheit hat die Kriminalisierung das wirkungsmächtige Stigma mit sich gebracht, dass trotz Entkriminalisierung nicht über Nacht verschwindet. Entkriminalisierung öffnet die Tür, um negative Verhaltensweisen gegenüber SexarbeiterInnen zu ändern und das Stigma zu verringern, aber das ist ein Ziel auf lange Sicht. Ich denke, dass mehr Forschung sehr wichtig ist, um das Stigma zu verstehen, auch in einem entkriminalisierten Zusammenhang. Nach wie vor hat das Stigma Auswirkungen auf das Leben von Sexworkern. Eine weiterführende und wichtige Aufgabe ist es, Sexarbeit zu entstigmatisieren, zusammen mit Massnahmen, um Diskriminierung von Sexworkern und ehemaligen Sexworkern vorzubeugen.
Wie sieht die Stellung von Migrantinnen in der Sexarbeit aus. Was passiert mit ihnen, wenn sie illegal in Neuseeland arbeiten? Haben sie überhaupt Zugang zu den Vorteilen des Gesetzes? Unglücklicherweise ist es ausländischen Sexworkern verboten, in der Sexindustrie zu arbeiten und erhalten damit keinen Schutz durch das Prostitutionsgesetz. Wenn eine Person mit befristeten Visum in der Sexindustrie gefunden wird, bedeutet das ihre Abschiebung. Dies bedeutet, dass ausländische Sexworker aufgrund ihres illegalen Status verletzlicher sind und es für sie noch schwieriger ist, die Polizei oder andere Parteien aufzusuchen, wenn sie schlecht behandelt werden. Ausländische Sexworker werden häufig besonders durch Vorurteile stereotypisiert. Forschung ist hier wichtig, auch um schädliche Mythen zu zerschlagen und um zu verstehen, wie Politik und Gesetze Einfluss auf die sehr unterschiedliche Gruppe ausländischer Sexworker haben.
Sexworker arbeiten indoor, oft werden sie in Bordellen gemanagt, oder privat von zuhause bzw. zusammen mit Kolleginnen. Ein kleiner Prozentsatz arbeitet auf der Strasse. Die meisten konzentrieren sich auf die Grossstädte.
Gibt es aktuelle Zahlen über die Gesamtzahl von Sexworkern? Die letzten Zahlen - 2.396 - sind von 2006. Leider gibt es keine aktuellen neuen Zahlen und Forschung dazu. Es ist schwer zu schätzen, inwieweit die Gesamtzahl von Sexworkern sich entwickelt hat. Zumindest kann man etwas über die Zahl von Bordellen sagen: insgesamt wurden vom Justizministerium 66 lizensierte Bordelle in Neuseeland genannt, während es kurz nach der Einführung des Prostitutionsgesetzes 2003 noch 326 Bordelle gab. Dies heisst nicht automatisch, dass die Gesamtzahl von Sexworkern abgenommen hat, aber es weisst darauf hin, dass die Nachfrage, in Bordellen zu arbeiten, insgesamt gesunken ist bzw. sich andere Orte zum arbeiten suchen, unabhängig von einer Wohnung aus oder zusammen mit anderen.
Das Gesetz schreibt eine Kondompflicht vor und den verpflichtenden Gebrauch von Dental Dams (Lecktücher), um selbstbewusster Safer Sex durchzusetzen. Wie sehen die gesetzlichen Konsequenzen für Sexworker aus, die z.B. Oralsex ohne Kondom anbieten? Sexworker sowie Kunden müssen mit einem Bussgeld von maximal 2000$ rechnen.
Vielen Dank Lynzie für das Interview!