Ich habe das Vergnügen, mit der Sexarbeiterin und Aktivistin für Hurenrechte Stephanie Klee ein ausführliches Interview zu führen. Ihre langjährigen Erfahrungen und Einschätzungen zu Prostitutionspolitik sind wirklich lesenswert. Geschätzte Lesedauer: 10 Minuten
Stephanie ist Gründerin des Bundesverbandes sexuelle Dienstleistungen BSD (nicht zu verwechseln mit dem Berufsverband BesD) sowie Move e.V., ein Verein für Bildung und Kommunikation in der Sexarbeit, der Träger der Kampagne "Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!" ist, die zuletzt das Kunstprojekt Strich / Code / Move in Berlin und Hannover durchführte. Stephanie war entscheidend am Durchbruch des Prostitutionsgesetz von 2001 beteiligt. Außerdem bietet sie Weiterbildung für Sexarbeitende im ProfiS Projekt an.
Da wo es mir gefiel, blieb ich länger und wenn sich dann etwas neues auftat, bin ich „weitergewandert“. Heute bin ich fast ausschließlich als Sexualassistentin tätig, biete also Senioren, pflegebedürftigen und behinderten Männer und Frauen, die meist ein Einrichtungen leben, meine sexuellen Dienstleistungen an. Sexualassistenz ist für mich ein Bereich der Sexarbeit. Ich will ihn nicht glorifizieren und auch nicht mit einem therapeutischen Label aufwerten, denn es ist, bleibt Sex ... Aber in einem besonderen Umfeld, das auch besondere Fähigkeiten und Auftreten verlangt.
Als besonders erlebe ich bei der Sexualassistenz auch die Anerkennung: für meine Arbeit bekomme ich nicht nur mein Honorar, sondern erhalte auch positives Feedback von dem Kunden und dem Personal der Einrichtung, und oft auch von den Angehörigen. Das ist schon was ganz Besonderes im Sinne von Wertschätzung, neben der großen Freiheit, die Termine weitestgehend nach meinem Gusto vereinbaren zu können.
Es war aber auch die Zeit, wo erste Sexarbeiter*innen in die Öffentlichkeit traten, z. B. Domenica, die ich dafür sehr bewundert habe. So war es dann für mich selbstverständlich, dass ich meine Diplomarbeit als Sozialarbeiterin zum Thema Prostitution schrieb und mich zwangsläufig noch mehr damit auseinandersetzte. Das habe ich immer als ideal betrachtet: ich habe mich praktisch und theoretisch mit Sexarbeit beschäftigt.
Und ebenso als selbstverständlich betrachte ich es für mich, dass ich mich – egal in welchem Beruf ich tätig bin – politisch engagiere: für mich und meine Rechte und die meiner KollegInnen und die der anderen Beteiligten – idealerweise immer gemeinsam, in einem Team, in einer Gruppe, in einer Kampagne. So bin ich dann auch Mitte der 80-iger Jahre bei HYDRA gelandet, dem 1. Hurenprojekt in Deutschland, dass ich zunächst aus der Ferne beobachtet hatte und dann extra für den Job bei HYDRA nach Berlin zog.
Im Rückblick betrachtet ist politische Arbeit immer von Höhe und Tiefe gekennzeichnet. Sie unterliegt wie jede andere politische Arbeit den gesellschaftlichen und parteipolitischen Veränderungen, aber auch der weltpolitischen und weltökonomischen und natürlich den persönlichen. Das Leben ist schon enorm bunt und verändert sich ständig.
Um das an einem Beispiel deutlich zu machen: als ich in einer Bar anfing, konnte der Besitzer nur in den Tageszeitungen auf besondere Ereignisse wie einen Striptease aufmerksam machen. Inzwischen gibt es das Internet, das eine weltweite Präsenz bietet und natürlich kann ich als selbstständige Sexarbeiterin eine eigene Website veröffentlichen, in Social Media auftreten und für mich Werbung machen, aber auch Werbung schalten und zwar in Zeitungen und auf Plattformen.
Aber genauso ist Politik zu Sexarbeit nicht mehr nur deutschlandweit zu betrachten, sondern muss mal mehr – mal weniger in einen internationalen Kontext gesetzt werden – , mit der Chance, auch unter Sexarbeiter*innen internationale Bündnisse einzugehen.
Als meinen größten politischen Erfolg kann ich sicher meine Mitarbeit/mein Engagement/meine Unterstützung mit den vielen anderen Sexarbeiter*innen und UnterstützerInnen hin zum Prostitutionsgesetz (ProstG) von 2002 sehen. Auf unterschiedlichen Ebenen hatten wir jahrelang für ein noch umfangreicheres Gesetz gearbeitet und waren dennoch über den ersten Kompromiss zufrieden. Das ProstG wollte man schnell erweitern und fortführen; so hatte uns das die Politik versprochen.
Doch dann kamen die ProstitutionsgegnerInnen und 2017 kam das sog. ProstituiertenSchutzGesetz. Ich weiß nicht, ob ich dieses Gesetz nicht hauptsächlich für die Sexarbeiter*innen und die BordellbetreiberInnen als Desaster empfinde oder mehr noch für die Gesellschaft insgesamt? Für die Sexarbeitsbranche ist es klar eine große Niederlage. Wir sind damit in eine Zeit zurückgeworfen worden, die wir mit dem ProstG glaubten hinter uns gelassen zu haben. Die Folgen gehen weit zurück vor die Zeiten des ProstG.
Aber: Eine Gesellschaft, die bereit ist, Grund- und Menschenrechte - Rechte einer Gruppe einzuschränken, bewegt sich weg von unserer demokratischen, freiheitlichen Grundordnung, was Folgen für uns alle haben wird. Das macht mir große Sorgen, weil ich mich hier, in solch einer Gesellschaft, immer weniger zuhause fühle.
Aus meiner Sicht bedeutet das, dass wir alle in den kommenden Zeiten mehr kämpfen und uns für Gleichheit engagieren müssen.
Aus dem gleichen Grund müssen Sexarbeiter*innen auch keinen Gewerbeschein vom Gewerbeamt haben.
Hier zeigt sich eines unserer Probleme: die vielen Gesetze, die Prostitution betreffen und regeln, widersprechen sich z. T., werden unterschiedlich ausgelegt und es gibt enorme Überschneidungen. Das macht auch die professionelle Ausübung des Berufs Sexarbeit so schwierig: denn neben der sexuellen Dienstleistung am Kunden mit allem Drum und Dran spielt der Überbau = die Gesetze eine große Rolle. Sie nicht zu beachten, kann „tödlich“ sein.
Dank der finanzielle Unterstützung der DAH (Deutsche Aids-Hilfe) werden jedes Jahr seitdem in einem Auswertungsseminar Veränderungen an profiS, gemeinsam und in einem partizipativen Prozess, vorgenommen,
- 40 Workshops deutschlandweit in Bordellen durchgeführt
- und neue Trainer*innen ausgebildet.
Dieses Projekt ist grandios und in seiner Bedeutung einzigartig.
Jede Sexarbeiter*in und jeder Bordellbetreiber kann profiS-Trainer*innen (oft auch mit kulturellen Mediator*innen) einladen und aus dem Themenstrauß den Inhalt des Workshops bestimmen. Dazu gehören u. a.:
- Gesundheit/Krankenversicherung.
- Besondere Reglungen für Migrantinnen.
- Fragen rund um den Job.
Die Sexarbeiter*innen sind in der Wahl der Themen völlig frei: nichts wird ihnen aufgedrängt, kein Thema ist ein MUSS, sie entscheiden, was sie lernen und diskutieren wollen.
Wegen der Vielfalt der möglichen Themen und der Besonderheit der Durchführung kann ein Workshop schnell 4 Stunden und mehr dauern.
Für die Sexarbeiter*innen ist der profiS-Workshop kostenfrei, auch für den Bordellbetreiber; ihnen wird die einmalige Gelegenheit geboten sich zu professionalisieren. Als Abschluss erhalten sie noch ein Zertifikat und ein Präsent.
profiS-Trainerin kann jede Sexarbeiter*in werden und jede Sozialarbeiter*in einer Fachberatungsstelle. In einem TrainTheTrainer-Seminar erhält jede Trainerin das Wissen und das Rüstzeug, um danach sich das Ortswissen zu erarbeiten und profiS-Workshops selbstständig durchzuführen.
Ich selbst führe die Seminare für die Trainer*innen durch, koordiniere das Projekt, aber führe auch immer wieder Workshops durch. Ich liebe diese Arbeit, weil ich mich jedes Mal auf eine andere Situation einstellen muss (es ist was anderes, ob ich einen Workshop in einer Bar mit Musik, auf der Straße in einem Kiosk oder in einem Wohnungsbordell durchführe), die KollegInnen mich immer wieder inspirieren und begeistern bzgl. ihrer Kenntnisse und Erfahrungen, aber auch herausfordern, ihnen das trockene Rechtswissen verständlich zu präsentieren oder gemeinsam mit ihnen ins Gespräch zu kommen über die Veränderungen der Branche, die Forderungen und Nöte.
Denn die Sexarbeiter*innen sind die Hauptleidtragenden, wenn ein Betrieb geschlossen wird. Sie verlieren ihren Arbeitsplatz und die Möglichkeit, Geld zu verdienen. So ist es heute leider immer noch. Die meisten Sexarbeiter*innen wollen nicht allein in einer Wohnung arbeiten (für die eigene Werbung zuständig sein, Miete und Strom, etc. pünktlich zahlen), sondern sie wollen in einem losen Team tätig sein, wollen die Struktur (eingerichtete Räume, Werbung, Heizung und Telefon, Waschmaschine, etc.) zur Verfügung haben, um selbst keine Verantwortung hierfür zu tragen und um auch schnell weiterwandern zu können. Denn die Sexarbeit ist nach wie vor von einer großen Mobilität geprägt.
Als dann das ProstG verabschiedet worden war, haben wir den Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e. V. (BSD) schnell gegründet als Interessenverband der BordellbetreiberInnen und selbstverständlich sind auch selbstständige Sexarbeiter*innen unsere Mitglieder. Z. Zt. gibt es ca. 100 Mitglieder.
Der BSD versteht sich als Ansprechpartner
Natürlich setzen wir uns auf politischer Ebene für eine bessere, gleichberechtigtere Gesetzgebung ein. So haben wir lange vor dem sog. ProstituiertenSchutzGesetz – quasi in Fortentwicklung des ProstG – einen eigenen Gesetzesvorschlag erarbeitet, der leider bei der Politik keine Beachtung fand. Trotz unseres Protestes (und den vieler anderen) wurde das ProstSchG am 01. Juli 2017 eingeführt. Wir lehnen das ProstSchG in Gänze ab, weil
Wichtig wäre eine Stärkung der Branche gewesen mit einer Angleichung der Gesetze, wie sie für andere Branchen gilt und mit einer Stärkung und Professionalisierung der Sexarbeiter*innen. Denn gegen Gewalt und Ausbeutung und Menschenhandel gab und gibt es schon ausreichende Gesetze, die man aber besser hätte anwenden müssen. Auch denken wir, dass in diesem Kontext der Opferschutz hätte ausgebaut werden müssen. Von Gewalt ausgebeutete Sexarbeiter*innen in die Heimatländer abzuschieben, stellt keine Option für sie dar, vor deutschen Behörden und Gerichten auszusagen – wohl aber die Zusicherung eines Bleiberechts und die Entschädigung für entgangenen Lohn und Schmerzen.
Wenn wir unsere Forderungen kurz zusammengefasst nennen würden, wäre das: Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze (siehe unseren obigen Gesetzesvorschlag) und Beachtung von Rechten, wie sie andere Gewerbetreibenden und Erwerbstätige haben und Respekt für die Beteiligten.
Außerdem ist move e. V. der juristische Träger der Kampagne „Sexarbeit ist Arbeit. Respekt!“. Diese Kampagne (www.sexarbeit-ist-arbeit.de) hat sich deutschlandweit 2016 gegen das ProstSchG aufgestellt und zunächst verschiedene Veranstaltungen, wie z. B. die große MitMachKonferenz in Berlin durchgeführt. Ein weiteres beeindruckendes Projekt der Kampagne ist das Schwarmkunstprojekt Strich / Code / Move (www.strich-code-move.art), dass 2019 für jeweils eine Woche zunächst in Berlin und dann in Hannover in und um 5 Lovemobile über Sexarbeit informierte und ausdrücklich den Dialog mit allen Interessierten suchten. 2020 sollen die Lovemobile dann für eine Woche in Bochum stehen.
Von solch obigen „positiven Fällen“ habe ich noch nie gehört, im Gegenteil: die Anmelde- und Gesundheits-Behörden melden immer, dass sich bei Ihnen noch niemand „geoutet“ hat.
Dass Hilfe zur Verfügung gestellt wird, ist aber eigentlich selbstverständlich und hätte auch schon vorher so geschehen sollen, z. B. über die Polizei, das Gesundheitsamt und Fachberatungsstellen der Prostitution. Da höre ich dann eher, dass sie keine Möglichkeiten der Hilfe haben bzw. keine ausreichenden Kapazitäten.
Verbote haben noch nie was gebracht (nicht nur in der Sexarbeit) und es sollte endlich mal an der Zeit sein, neue Wege zu gehen und vor allem auf Sexarbeiter*innen und BordellbetreiberInnen zu hören. Es ist nicht zu erwarten, dass Verbote, Registrierung, Überwachung, etc. nach Jahrhunderten der unterschiedlichsten Ausprägung nun plötzlich erfolgreicher sein sollen.
So hoffe ich natürlich, dass ein Sexkaufverbot in Deutschland nicht eingeführt wird, obwohl gewaltige Kräfte dafür arbeiten und auch offensichtlich enorme Geldsummen dafür zur Verfügung haben. Ermutigend finde ich da positive Äußerungen z. B. von unserer Bundesfamilienministerin oder Bundesjustizministerin, oder der Grünen Jugend etc. Doch darauf ausruhen dürfen wir uns nicht: wir müssen alle mehr für die Rechte und den Respekt von Sexarbeit eintreten, kämpfen, aktiv werden und uns aus unserer Komfortzone herausbewegen.
Respekt für Deine Arbeit und Dein Engagement liebe Stephanie! Danke für das Interview.
Falls Ihr noch Fragen oder Anmerkungen zum Thema Sexkaufverbot und Prostituiertenschutzgesetz in Deutschland habt liebe Escorts, Betreiber und Kunden, so stellt sie bitte im Kommentarbereich und diskutiert mit uns!
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