In den meisten Ländern unserer Welt gibt es spezielle Regelungen und Gesetze, die den Umgang mit Sexarbeitern, dem Prostitutionsgewerbe und / oder ihren Kunden regeln. In unseren Länderberichten versorgen wir Euch mit wichtigen landestypischen Informationen. Im folgenden Artikel geht es um Sexarbeit in Schweden bzw. das Thema "das Schwedische Modell".
Prostitutionsgegner führen häufig als Beispiel gelungener Prostitutionspolitik das sog. Schwedische Modell an. Es wird behauptet, dass es die Prostitution eingedämmt und zu mehr Sicherheit der Sexdienstleisterinnen geführt habe.
Was ist das Schwedische Modell?
Es bezeichnet das schwedische Gesetz zum Verbot des käuflichen Erwerbs sexueller Dienstleistungen.
Kunden unterliegen der Strafverfolgung: die Höchststrafe für Sexkauf wurde zwischenzeitlich auf ein Jahr erhöht.
Das Schwedische Modell wurde 1999 Gesetz in Schweden und 2009 auch in Norwegen eingeführt. Das Sexkauf-Verbot ist von dem Gedanken getragen, dass Sexarbeit grundsätzlich Gewalt gegenüber Frauen bedeutet und eine Gesellschaft erst gleichberechtigt sei, wenn es keine Prostitution mehr gebe. Es zielt auf die Eindämmung der Nachfrage-Seite ab, d.h. die Kriminalisierung von Kunden. Nicht die Prostituierte wird bestraft, sondern der Kunde. Allerdings ist Prostitution in Schweden von weiteren Rechtsvorschriften begleitet, die dazu führen, dass die Anmietung von Gewerberäumen zum Zwecke der Prostitution verboten ist (auch Hotelzimmer), die Vermittlung von Kunden sowie die Werbung für sexuelle Dienstleistungen und die Vorteilsnahme Dritter aus Einkünften der Sexdienstleisterin ebenso.
Stigmatisierung der Sexarbeiter
Obgleich Sexdienstleisterinnen entkriminalisiert sind, führen die Gesetze bzw. Verbote rund um Sexarbeit dazu, dass sich das Stigma von Sexarbeiterinnen verstärkt hat. Stigma lässt sich als Merkmal gesellschaftlicher Abweichung definieren, was zu einem Ausschluss aus der Gemeinschaft führt. Ausserdem werden Prostituierte viktimisiert, d.h. es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass Frauen in der Sexarbeit Schutz bedürfen und Opfer von Ausbeutern sind. Die Rechtslage führt, wie in fast allen 116 Ländern, wo Sexarbeit verboten ist, dazu, dass wer Kinder hat, das Sorgerecht verlieren kann, Vermieter durch die Polizei ermutigt werden, Wohnungen, in denen Prostituierte leben, zu kündigen, um nicht selber wegen Zuhälterei angeklagt zu werden; MigrantInnen aus EU-Drittstaaten werden gnadenlos abgeschoben (vgl. Dolinsek 2015). Prostitutionsverdienste sind steuerpflichtig: die Finanzämter akzeptieren ”Prostitution” oder ”Sexarbeit” jedoch nicht als Tätigkeit, wenn jemand eine Firma registrieren möchte (Angestelltenverhältnisse sind auf Grund des Kuppeleiparagrafen nicht möglich). Dies hat zur Folge, dass Prostituierte ihre Tätigkeit als einen anderen Beruf registrieren oder ihre Dienste illegal auf dem Schwarzmarkt anbieten müssen. Wird Schwarzarbeit entdeckt, riskieren Prostituierte willkürliche Steuerbescheide (vgl. Missy Magazin 2014).
Das schwedische Modell und seine "Erfolge"
Die schwedische Regierung behauptet, das Gesetz hätte Prostitution eingedämmt, dies ist jedoch statistisch nicht belegbar: es wird behauptet, dass das Gesetz die Prostitution zurück gedrängt hat, was ein erklärtes Ziel dieser Politik ist. Dies lässt sich empirisch jedoch nicht nachweisen, da keine zuverlässigen Zahlen vor Einführung des Gesetzes vorlagen und seither erhoben wurden (vgl. Jordan 2012).
Das Gesetz hat die Lage der Prostituierten eher verschlechtert und zu einem Anstieg von gefährlichen Situationen für die SexarbeiterInnen geführt. Die sichtbare Prostitution, also Strassenprostitution, nahm durch Verlagerung der Sexarbeit in Wohnungen und die Vermittlung über das Internet ab. Schwierigkeiten erfahren Sexworker auch im Umgang mit Behörden, Strafverfolgung, sozialen Diensten und Beratung.
Die Verhandlungsposition gegenüber den Kunden wurde geschwächt, mit dem Ergebnis, dass weniger Frauen geschützte Sexpraktiken gegenüber ihren Kunden durchsetzen können. Weniger Kunden und grösserer Wettbewerb haben zu einem Anstieg ungeschützter Sex-Praktiken geführt: dies wird noch dadurch unterstützt, dass das Beisichtragen von Kondomen als Nachweis der Prostitution durch die Polizei gewertet wird und dies wiederum zu einer Abnahme der Verwendung von Kondomen geführt hat.
Das schon anfangs erwähnte Stigma, also die gesellschaftliche Definition und Ausschluss von Sexarbeitern als Opfer, führt auch dazu, dass Prävention, also Vorsorgeuntersuchungen für HIV und STI (sexuell übertragbare Krankheiten) weniger in Anspruch genommen werden. Dies wiederum gefährdet die Gesundheit der Sexarbeiterinnen.
Über die Auswirkungen auf männliche und trans-Personen in der Sexarbeit ist dort nichts bekannt, da sie bei offiziellen Schätzungen ignoriert wurden.
Das Schwedische Modell - ein Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Man glaubt, durch Verbote Prostitution eindämmen zu können und damit auch den Menschenhandel. In der Realität verschwindet die Prostitution jedoch nicht, sie verlagert sich mehr von der Strasse in die Wohnungen und in versteckte Prostitutionsformen. Die Frauen sind aufgrund ihrer Stigmatisierung selten willens oder in der Lage, sich im Notfall an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist nicht sonderlich gross. Was noch schwerer wiegt, ist, dass soziale Hilfsangebote, Beratungsstellen, Streetwork kaum noch an die Prostituierten herankommen, je grösser die Stigmatisierung und die versteckte Sexarbeit ist. Als Folge dieser Gesetze dürfen in Schweden keine Bordelle betrieben werden und Prostituierte können weder Wohnungen noch Hotelzimmer für ihre Tätigkeit mieten. Sie dürfen einander nicht bei der Beschaffung von KundInnen oder als AufpasserInnen helfen und keine Werbung machen: Prostituierte dürfen nicht mit anderen zusammenarbeiten, sie dürfen einander keine Kunden empfehlen, können nicht in der Wohnung arbeiten, die sie mieten oder mit ihrem Partner bewohnen, wenn der Partner vom Erlös der Prostitution profitiert und sich somit strafbar macht (vgl. Missy Magazin 2014). Im Vergleich dazu, haben wir in Deutschland paradiesische Zustände; noch, denn
mit der neuen Prostitutionsgesetzgebung, die derzeit diskutiert wird und worauf sich die Regierung geeinigt hat, kommen allerlei Einschränkungen und Kontrollmassnahmen auf die SexarbeiterInnen auch in Deutschland zu.
Weiterführende Literatur über das Schwedische Modell
Sonja Dolinsek, Sexarbeit, Maischberger und die Menschlichkeit, in: Menschenhandel heute
http://menschenhandelheute.net/2015/01/19/sexarbeit-prostitution-maischberger-und-die-menschlichkeit/
Missy Magazin, Dossier Sexarbeit Das Schwedische Sexkaufverbot 28.2.14
http://missy-magazine.de/2014/02/28/das-schwedische-sexkaufverbot-beanspruchte-erfolge-und-dokumentierte-effekte/
Missy Magazin, Dossier Sexarbeit, Stefanie Lohaus; Interview mit Dr. Susanne Dodillet, Schuss nach hinten, 28.2.14
http://missy-magazine.de/2014/02/28/schuss-nach-hinten/
Jay Levy, Criminalizing the Purchase of Sex: Lessons from Sweden, 2014
Östergren, P., 2004, Sexworkers Critique of Swedish Prostitution Policy Accessed 4.1.2008
Ann Jordan, The Swedish Law to criminalize clients: a failed experiment in social engineering, April 2012
In Schweden gibt es die Sexworker-Organisation Rose Alliance
http://www.rosealliance.se
Weitere Länderberichte im Magazin
Neben diesem Artikel "Sexarbeit in Schweden - das Schwedische Modell" haben wir noch weitere Länderberichte mit interessanten Informationen über die speziellen gesetzlichen Regelungen und Gesetzen der jeweiligen Länder für Euch, z. B.:
Von unserer Übersichtsseite ausgehend findet Ihr sämtliche Länderberichte, die wir bisher für Euch zusammengestellt haben.
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Written by Susi