Beim Fachtag am 7. November gab es so einige Referenten mit interessanten Perspektiven. Konsens war, Menschenhandel und Ausbeutung entschieden entgegen zu treten und die Stigmatisierung von Sexarbeitenden zu bekämpfen. Ihre Selbstbestimmung und Arbeitsbedingungen zu verbessern bzw. zu stärken.
Tatsächlich gibt es keine seriösen Zahlen, die belegen, daß der Menschenhandel seit Einführung des Sexkaufverbots in Schweden zurück gegangen ist. Auch die Prostitution ist nicht verschwunden. Sie hat sich von der Straße ins Internet und in Wohnungen verlagert, Bordelle sind verboten. Die Zahlen verurteilter Freier haben sich auch gewandelt. Waren es 2010 noch 1251, so waren es 2017 222. Die Zahlen verurteilter Menschenhändler halten sich in Grenzen: waren es 2003 2 Personen, so sind es 2017 noch 4 Personen. Die Mehrheit der schwedischen Gesellschaft steht hinter dem Sexkaufverbot.
Effekte des Sexkaufverbots für die Sexarbeitenden sind die extreme Stigmatisierung, ihre Abhängigkeit von Dritten, ihr Mißtrauen gegenüber öffentlichen Einrichtungen. Es gibt keine akzeptierenden Beratungsstellen, sondern nur Ausstiegshilfen für Prostituierte und Freier. Für die Sexarbeitenden gibt es eine unklare Rechtslage: Sexworker werden mal als Opfer, mal als Täter nach dem Kuppeleigesetz betrachtet und auch der gegenseitigen Zuhälterei bezichtigt, wenn sie zusammen arbeiten. Ihre Verletzlichkeit gegenüber Freiern nimmt zu. Auch werden sexarbeitenden Müttern die Kinder weggenommen. Dies wird mit "Hilfe beim Ausstieg" begründet.
Für die Freier gibt es ebenfalls Auswirkungen. Ihre Strafbarkeit führt zu Aussageverweigerung, wenn sie als Zeugen bei Menschenhandel und Zuhälterei geladen sind. Sie werden Opfer von Erpressung und Diebstählen und sind natürlich stigmatisiert.
Angriffe, missbrauchsartige Anrufe und bedrohendes Verhalten, Gewalt und die Nachfragen nach ungeschütztem Sex haben sich potenziert, die HIV Rate ist gestiegen. Abschiebungen von Migrant*innen stehen auf der Tagesordnung. Die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter*innen in Frankreich und Norwegen haben sich verschlechtert, Gewalt ist auch dort gestiegen. Die Einnahmen sind gesunken und die Aggressionen von Kunden haben sich erhöht. Sexarbeitende sind bei der Kundenvermittlung zunehmend auf Zuhälter angewiesen.
In Israel wurden Werbeportale und Foren geschlossen, auch Escort Agenturen zu Zuhältern erklärt. Die Polizei macht regelmäßig Jagd auf Sexarbeitende, die in Apartments arbeiten. Die Freierbestrafung am Straßenstrich in Österreich hat dazu geführt, daß Opfer von Menschenhandel kaum identifiziert werden. Denn Kunden haben Angst, Kontakt zu Beratungsstellen aufzunehmen. In die Polizei besteht ebenfalls kein Vertrauen, was dazu führt, daß der Kontakt zu Opfern von Menschenhandel verloren geht.
Sexarbeitende werden zurück nach Osteuropa abgeschoben, auch Opfer von Menschenhandel. In der Abschiebehaft gibt es zahlreiche Selbstmorde. Das Heimatland erhält über Migrantinnen Informationen über ihren Status als Sexarbeiter*in. Das kann zu Bußgeldern im Heimatland führen. In China und Venezuela, landen Sexarbeitende nach ihrer Rückführung in ihre Heimatländer in Umerziehungslagern.
Allerdings gibt es von den Beratungsstellen bislang keine veröffentlichten Zahlen. Die Polizei spricht bei den bekannten Zahlen vom sog. Hellfeld; eine Dunkelfeld Studie liegt bislang ebenfalls nicht vor. Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution sind an erster Stelle deutsche Frauen mit 18%, gefolgt von bulgarischen, rumänischen und nigerianischen Opfern. Die deutschen Opfer von Menschenhandel, meist jünger als 21 Jahre, gelangen sehr häufig durch die Loverboy Methode in die Fänge der Menschenhändler.
Es gibt auch Zahlen über die Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung nach Arbeitssettings: 63 Opfer stammen aus der Straßenprostitution, 87 aus dem Escort/H/H Bereich, 150 aus der Wohnungsprostitution und 165 wurden in Bordellen identifiziert. Das zeigt, daß viele Arbeitsbereiche in der Prostitution betroffen sind.
Die Expertin entwickelte auch Szenarios, wie sich ein Sexkaufverbot in Deutschland auswirken würde. Die Ausbeutung würde in kaum sichtbare und schwer zugängliche Bereiche verdrängt. Die Prostitutionsausübung wäre mit höheren Risiken verbunden, die Nachfrage nach Prostitution würde durch ein Sexkaufverbot nicht adressiert.
Sie wies darauf hin, daß es über Prostitution keine verläßlichen Zahlen gibt und diese zwischen 50.000 und 400.000 Sexarbeitenden in Deutschland schwanken. Ein Grund ist auch die hohe Fluktuation. Die meisten Sexworker bezeichnen sich selbst nicht als Sexarbeit*erinnen oder als professionell. Die Szene ist sehr vielfältig, was Service, Zielgruppen, Kundenfrequenz und Arbeitszeiten betrifft. Genauso unterschiedlich sind auch die Arbeitsorte: Straßenstrich, Wohnungen, Hotels, Haus- und Hotelbesuche, Laufhäuser und Bordelle, Kontaktbars und Pornokinos, Massage Studios und Saunaclubs.
Es herrscht eine große Unsicherheit bei den Betreibern. Von Verstößen gegen den Datenschutz, Zwangsoutings, und der Einschränkung in der Wahlfreiheit des Arbeitsplatzes wird seitens Sexarbeitender berichtet. Von Zusatzkosten der Registrierung und zusätzlichen Übernachtungskosten (weil man an betrieblichen Arbeitsplätzen nicht mehr schlafen darf).
Ein wichtiges Thema ist auch die Zunahme an Illegalisierung, die Angst vor Behörden und die geringe Bereitschaft, Übergriffe anzuzeigen. Sexarbeitende arbeiten nun mehr isoliert und sind für Beratungsangebote kaum erreichbar.
Es müssen Richtlinien und Maßnahmen zum Arbeitsschutz sowie bessere Arbeitsbedingungen in Absprache mit den Sexarbeit-Selbstvertretungen entstehen. Außerdem ein sicheres Umfeld für die Straßensexarbeit, eine freiwillige, anonyme und kostenlose Gesundheitsberatung bundesweit eingeführt und akzeptierende Beratungsstellen ausgebaut werden.
Des Weiteren sollen Sexarbeitende in das Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen und eine soziale Absicherung ähnlich der KSK (Künstlersozialkasse) möglich sein, Selbsthilfe Strukturen gefördert.
Dieses Maßnahmenpaket sei notwenig, um so die Stigmatisierung zu bekämpfen und der Prävention von Gewalt zu dienen. Es bedarf Maßnahmen, um Vertrauen in die Behörden aufzubauen sowie Aufklärung von Sexarbeitenden über ihre Rechte. Gleichzeitig ist es sinnvoll, die Armut und das Wohlstandsgefälle in und zwischen den Ländern zu bekämpfen und die Selbstbestimmungsrechte zu stärken. So kann langfristig echte Hilfe für Sexarbeitende sowie für Betroffene von Menschenhandel aussehen. Der Berufsverband braucht deshalb auch Eure Unterstützung! Liebe Sexworker, werdet Mitglied im BesD und genießt Vorteile und Services, um Euch zu professionalisieren und auszutauschen. Auch Spenden von Unterstützern werden gern gesehen. Unterstützt die Arbeit des BesD, auch ohne Euch zu outen und Gesicht zu zeigen. Je mehr Unterstützer, desto stärker werden die Lobbyhuren, um Einfluß auszuüben!
133 Prostitutionsbetriebe erhielten eine Erlaubnis. Außerdem bietet Hamburg Betreibergespräche, um das komplizierte Erlaubnisverfahren zu verstehen. Denn es gibt auch Anwälte, die Betreiber ausbeuten. Im Gegensatz zu Schleswig-Holstein erhebt Hamburg für das Anmeldeverfahren keine Gebühren.
Der Tag schloß mit einer Diskussion über künftige Strategien gegen das Sexkaufverbot, alternativ zu Horrorstories und „Betroffenheitspornografie“ von Prostitutionsgegnern. Alles in allem ein interessanter und vor allem lehrreicher Tag.